Laut einem Gemeinplatz der Küchenphilosophie ist der Weg das Ziel. Wie verhält sich dieser Satz nun zu bestimmten (Sub-)Genres, in denen das Ziel, das, worauf das alles hinaus will, von vornherein fest steht, gewissermaßen als Voraussetzung durch die Genrekonventionen gesetzt ist. Etwa im Sportfilm, im Slasher (wobei schon alleine aufgrund der Masse an Filmen hier Subversionen wesentlich häufiger sind) – oder eben im Buddy Movie.
Der vielleicht erste Film dieser Art stammt übrigens von 1931. Charles Chaplins Pre Code-Preziose „City Lights“, ein Film, der die heute so bekannte Geschichte von zwei grundverschiedenen Männern erzählt, die sich zusammen raufen müssen, um gemeinsam eine Aufgabe, eine Mission zu erfüllen. Chaplin setzte diese Formel, um sie sogleich weniger zu dekonstruieren als vielmehr in die Luft zu jagen, etwa dadurch, dass die interessanteste Figur hier nicht Chaplins gewohnter Tramp ist, sondern sein Gegenpart, der bipolare und alkoholkranke Millionär, der schlicht nicht in der Lage ist, die gleichmäßige Entwicklung zu durchlaufen, die man aus späteren Vertretern des Genres kennt. Auch nutzte er die viel besungene Freiheit im Hollywood der Zeit, um einen homoerotischen Subtext zwischen den beiden Männern zu etablieren, die nach durchzechter Nacht gemeinsam in einem Bett aufwachen. 1982 schuf Walter Hill mit „48 Hours“ einen Archetypen des Action-Buddy-Movies für die Moderne und Postmoderne, auch variierte der Regisseur diese Prämisse später meisterlich, nämlich in „Red Heat“ (1988) und in „Bullet to the Head“ (2012).
In „All Nighter“ (oder zu Deutsch: „The Runaround – Die Nachtschwärmer“) nun besteht das ungleiche Paar, das keins werden darf, aus dem kiffenden, tofuessenden und im extremen Maße selbstunsicheren Banjo-Spieler Martin (Emile Hirsch) und seinem vielbeschäftigten Schwiegervater Frank Gallo (J. K. Simmons), der eine Vorliebe für blutige Steaks, teure Anzüge und schnelle Autos hat. Eine einzige Szene, ein gemeinsames Essen in einem noblen Restaurant, bei dem Martins Freundin Ginnie (Analeigh Tipton) ihn ihrem Vater vorstellt, reicht dem Film, um zu zeigen, dass diese Männer einfach nicht zusammen passen wollen.
Wobei Regisseur Gavin Wiesen und sein Drehbuchautor Seth Owen die ewig gleiche Genreformel dahingehend variieren, dass in dieser Szene offen bleibt, ob der sich distinguiert bedeckt haltende Frank Martin tatsächlich nicht ausstehen kann oder ob es nicht vielmehr die enorme Unsicherheit des letzteren ist, der dieser Eindruck entspringt. J. K. Simmons, der Star des Films, der für seine Rolle in Damien Chazelles „Whiplash“ den Oscar gewann, mir aber vor allem durch sein exaltiertes over acting als opportunistischer, geldgeiler und geiziger Zeitungsverleger J. Jonah Jameson in Sam Raimis „Spider-Man“-Trilogie im Gedächtnis ist, gibt seine Rolle mit ungewöhnlichem Understatement und bildet gerade dadurch eine Projektionsfläche für Martins Böser-Schwiegervater-Ängste.
Jedenfalls setzt sechs Monate nach diesem Abend die eigentliche Handlung des Films ein, als Frank, der zwischen zwei Arbeitsaufträgen einen Abstecher nach L.A. Macht, um seine Tochter zu besuchen, diese aber weder antrifft noch mit den modernen Kommunikationsmitteln erreicht und sich nun große Sorgen um sie macht, Martin um Hilfe bittet sie zu finden, ohne zu wissen, dass dieser sich drei Monate zuvor von ihr getrennt hat, worüber er nicht wirklich hinweggekommen ist. Die beiden beginnen Los Angeles nach den Bezugspunkten ihrer Tochter respektive Ex-Freundin abzugrasen, starten die Suche, die sich eine ganze Nacht lang hinziehen wird.
Für feministische KritikerInnen des Buddy Movie-Genres bietet „All Nighter“ nicht nur ein gefundenes Fressen, sondern geradezu ein Festmahl. So heißt es etwa in „The Complete Film Dictionary“: „Such films extol the virtues of male comradeship and relegate male – female relationships to a subsidary position.“ Ginnie, die weibliche, nun ja, Hauptfigur des Films erfüllt einzig und alleine die Funktion eines McGuffin, der dazu gebraucht wird, die Annäherung der beiden männlichen Protagonisten voranzutreiben, ohne, wie es bei Wikipedia heißt, „selbst von besonderem Nutzen zu sein.“ Analeigh Tipton ist nett anzusehen – und gerade darin auf ihre reine Funktion des Plots beschränkt, ein Eigenleben als Figur ist ihr definitiv nicht vergönnt. Daran ändert auch nichts, dass sie am Ende einen neuen Freund haben wird, ja, vielmehr gibt die Tatsache, dass dieser, judging by his Urlaubsziel einer höheren Gehaltsklasse als Martin angehört, dieser Nicht-Figur einen noch schaleren Beigeschmack als eh schon. Schöne Frauen schlafen sich also gerne hoch, ziehen die aalglatten Gewinner den Losern vor – und seien sie auch so grundsympathisch wie eben Martin. Aha.
Für Frank und Martin reicht es sicherlich aus, dass die Frau unerreichbar ist – für den an Weltschmerz leidenden Ex ebenso wie für den sie vernachlässigenden Vater. Man könnte den Film so zusammenfassen, dass Frank seine Tochter nicht (oder doch nur sehr teilweise) zurück-, dafür aber einen neuen Sohn gewinnt. Oder, weniger zimperlich, könnte man auch an die Funktion der Frau in einer double penetration denken, wo sie den heterosexuellen Katalysator bildet, der dafür sorgt, dass sich die beiden Schwänze, die sich so nacheinander sehnen, nicht (ganz) zusammenkommen, weil sie immer noch ein Stück weibliche Haut voneinander trennt.
Trotz solcher ideologiekritischen Einwände mochte ich „All Nighter“ recht gerne, was nicht zuletzt an dem L. A. liegt, das der Film porträtiert. Den Nebenfiguren, denen das Duo bei ihrer Suche in Cafés, Clubs, Restaurants begegnet, wird, anders als Ginnie, durchaus ein Eigenleben zugestanden. Was sie von den Typen trennt, die schon noch recht deutlich in der Anlage ihrer Figuren durchscheinen, bzw. in dem Fall des mit Martin befreundeten Pärchens Gary (Tarran Killam) und Roberta (toll: Kristen Schaal) in ihrer Beziehung, ist eine exquisite weirdness. Ganz „normal“ ist in diesem Film, diesem Los Angeles definitiv niemand, was den überkommenen Begriff der Normalität dann eben auf eine harte Probe stellt. Gary und Roberta sind mehr als die Zweckgemeinschaft zwischen einem Stoner, der lieber Pilze frisst als, Gott bewahre, erwachsen zu werden, und einer so fürsorglichen wie eifersüchtigen Frau. Ja selbst Megan (Xoscha Roquemore), eine andere Bekannte Martins, die sie in ziemlich betrunkenem Zustand in einer Disko treffen, die sie schließlich nachhause bringen, was zu Missverständnissen mit ihrem White Trash-Freund führt, ist mehr als nur das naive Partygirl.
Auch verhält sich der Film gegenüber den homoerotischen Implikationen seiner Geschichte wie des ganzen Genres, die, wie eingangs erwähnt, schon bei Chaplin mehr als offensichtlich waren, nicht wirklich so blauäugig, wie man zunächst meinen könnte. So borgt sich Frank, nachdem ihm Megan den Anzug vollgekotzt hat, ein rosa T-Shirt von ihrem Freund, ein T-Shirt mit der Aufschrift „Keep it Juicy“. Schließlich entlässt der Film, der ansonsten die Genreformel gewissenhaft abarbeitet, uns nicht mit einem zu hohen Maß an Versöhnlichkeit. Auf das große Pathos der Wiedervereinigungen verzichtet er sehr bewusst. Auch tut er gut daran, das Mysterium um Franks Beruf, das einige Zeit lang die Konklusion offen hält, dass er ein Spion, (Super-)Cop oder Auftragskiller ist, schließlich anders aufzulösen und Ausflüge in andere Genregefilde lieber jemandem wie Paul Feig zu überlassen.
Die ganz große Komik, den subversiven Sprengstoff, die befreiende Vulgarität und ausufernde Selbstreflexivität der ganz großen Meisterwerke im amerikanischen Genre des Komischen, etwa eines Judd Apatow, sucht man hier unterdessen vergeblich – trotz des einen oder anderen nerdy Bezug auf die Populärkultur und der mit dem Wort „Fuck“ gespickten Dialoge.
Für einen Start in deutschen Kinos hat es für „All Nighter“ leider wieder einmal nicht gereicht. Allerdings kommt der Film, der gerade letzten Monat erst in den amerikanischen Kinos gestartet ist, bereits am 21.04. 2017 bei Ascot Elite auf DVD, Blu-ray und VOD heraus.