Eine Unterrichtsstunde ist im Motivrepertoire des High School-Slashers fester Bestandteil. Das war in Wes Cravens Klassiker des Subgenres „A Nightmare on Elm Street“ von 1984 so, den Lukas Foerster einmal als ersten Meta-Slasherfilm bezeichnete, und das ist in „Bedeviled“ von den Vang Brothers von 2016 nicht anders. Wo jedoch dort düster Literarisches im Englischunterricht besprochen wurde, befinden wir uns hier im Biologieunterricht, wo es um ein Thema geht, das für den Horrorfilm, das ist banal, von zentraler Bedeutung ist: die Angst. Diese ist, so lernen wir, die natürliche Art des Körpers auf Gefahrensituationen zu reagieren, auf „flight or fight“, Flucht oder Kampf, vorzubereiten. So weit, so Lehrbuch. Doch dann nimmt sich der Film einige Freiheit im Auslegen der wissenschaftlichen Fakten, indem er den Lehrer fortfahren lässt zu erklären, dass Angst sich derart intensivieren könne, dass es zu einem tödlichen Adrenalinstoß kommt, es also möglich sei, sich buchstäblich zu Tode zu erschrecken. Wissenschaftlich also gibt das Szenario des Films, dass eine Gruppe gesunder Teenager von einer App, die sich ihrer geheimsten individuellen Ängste zu Nutzen macht, um sie eine/n nach dem/der anderen dahin zu raffen, nicht viel her. Allerdings gilt natürlich auch hier, was ich kürzlich in meinem Text zu „Sleepless“, einem wesentlich problematischeren Genrefilm (dort: nicht Horror, sondern Action) als dem, so viel vorab, sehr gelungenen „Bedeviled“ über filmisches Erzählen schrieb, „das sich schließlich zu realen Begebenheiten autonom verhalten darf und soll, eher eigenen Regeln zu folgen hat als dem Diktat der sogenannten Realität (und was ist ein Genre, wenn nicht eine Art Regelkatalog, den gute Genrefilme nicht nur erfüllen oder abarbeiten, sondern mit dem sie spielen und den sie im besten Fall auch transzendieren können?)“
Zu Beginn stirbt der Teenager Nikki (Alexis G. Zall) und die Hinterlassenschaft an ihre Clique von fünf High School-SchülerInnen, die unmittelbar vor dem Abschluss stehen, ist eine mysteriöse App, für die sie die Einladung nach dem Tod der Freundin erhalten. Technik-Geek Cody (Mitchell Edwards) erklärt dazu, dass es durchaus sein könne, dass eine App-Einladung automatisch auch noch von dem Telefon einer Toten verschickt wird. Diese App mit dem Display-Bild des Mannes mit der charakteristischen, beim Sprechen blinkenden roten Fliege scheint erst einmal verdammt cool zu sein. Sie kennt sich mit eher ungewöhnlichen Pornographie-Vorlieben („midget porn“) ebenso aus wie mit den Mathehausaufgaben und wird für die Adoleszenten schnell zum ständigen Begleiter. Doch schon bald zeigt sich auch die Kehrseite dieses vermeintlichen Glücks, weil sich die Jugendlichen schon bald verfolgt fühlen – und zwar jede/r von dem, was ihm oder ihr die größte Angst macht.
Diese individuellen Ängste schürfen tief in der Vergangenheit, der Familiengeschichte der jeweiligen Figuren, ohne dabei jedoch die politische Gegenwart der USA aus den Augen zu verlieren. Der asiatischstämmige Dan (Brandon Soo Hoo) fürchtet sich etwa vor einer Tante aus dem Dorf, aus dem seine Eltern stammen, über die keiner spricht und die er nur von einem Foto kennt. Seine Freundin Haley (Victory Van Tuyl), mit der er sich über diese Geschichte direkt nach dem Shakespeare-Sex austauscht, den er heimlich und zunächst zu ihrem Missfallen mit dem Handy aufgenommen hat, fürchtet sich vor einem Teddybär, den sie als kleines Mädchen hatte. Der Afroamerikaner Cody hingegen hat, vergegenwärtigt man sich die vielen Fälle, in denen schwarze Menschen in den USA in den letzten Jahren Opfer von Polizeikugeln wurden, allzu verständlicherweise, Angst vor Cops und weißen Menschen (zumindest vor denen, die er nicht näher kennt). Doch auch da werden Konflikte nicht auf Hautfarben reduziert, sondern es ist entscheidend, dass es gerade ein schwarzer Polizist ist, bei dem Dan versucht Hilfe gegen die Killer-App zu bekommen, und dessen Erscheinung sich dann als weitere Inkarnation des Bösen herausstellt. Und auch die Angst vor Clowns, die einen anderen Jungen quält, lässt sich durch Schlagzeilen der jüngeren Vergangenheit ebenso erklären wie durch eine lange Tradition im filmischen und literarischen Genre des Phantastischen (Stephen Kings „It“ in Schrift und Bild sei nur als prominentes Beispiel genannt).
Dass der Film seine Hauptidee, die der deutsche Untertitel mit den Worten „Das Böse geht online“ umschreibt, den Tod aus dem Smartphone, beinahe verschenkt, dass etwa Olivier Assayas es kürzlich in „Personal Shopper“ mit einem langen SMS-Dialog, über dem die Möglichkeit schwebte, dass es sich um einen Kontakt zum Jenseits handelte, wesentlich eleganter schaffte, die für uns heute so alltäglichen Technologien unheimlich aufzuladen, tut dem positiven Gesamteindruck von „Bedeviled“ keinen Abbruch. Neben seinem sehr intelligent geführten Diskurs über die Angst und das, was sie bei jeder/jedem einzelnen verursacht, überzeugt er auch stilistisch. Ein routinierter Grusler, der auf Splattereinlagen ganz verzichtet, und schon wegen des Bildformats von 2,40:1, also sogar noch ein bisschen breiter als das übliche Scope, unbedingt auf eine große Leinwand gehört hätte, aber leider in Deutschland nur von Ascot Elite am 24.03.2017 als DVD, Blu-Ray und Video on Demand veröffentlicht wird.