„Der junge Karl Marx“ fängt stark an: Polizisten durchkämmen ein Waldgebiet, in dem abgerissene Gestalten zwischen den Büschen hausen. Die Kamera filmt ins Licht; ein Ort wie der morgendliche Berliner Tiergarten. Die Menschen könnten die sein, die dort zelten: Arbeiter aus Osteuropa, aus der Wohnung Geräumte und sonstige Marginalisierte. Sollte es im Sinne von Regisseur Raoul Peck gewesen sein, eine Verbindung zwischen der Mitte des 19. Jahrhunderts, zwischen der damaligen Pauperisierung der Massen und heutigem Prekariat herzustellen, ist ihm das zumindest zu Beginn gelungen.
Im Zentrum seines Films steht das prominenteste Rockstar-Duo, bevor Lennon/McCartney bzw. Jagger/Richards die Weltbühne betraten: Karl Marx und Friedrich Engels, jung und schön, Paris 1844. Sie schmieden politische Bündnisse, gründen Zeitungen, fliegen raus, schreiben Studien über die Armut. Karl ist knapp bei Kasse, Friedrich kämpft mit dem Unternehmervater – die beiden Jungzausel könnten europäische Hipster sein, nur die Smartphones fehlen. Die beiden disputieren sich besoffen und verqualmt durch politische Theorie, Ökonomie und Familienprobleme. Nach der Devise „Gebt den Linken mehr zu trinken“ wirkt der Streifen zeitweise wie ein Werbeclip für den Spätkauf. In der ersten Stunde kommt das recht modern rüber. Dann ist die die Luft ein bisschen raus. Zum „Kommunistischen Manifest“ hin verlegt man sich ein wenig aufs Drehbuchaufsagen.
Das große Plus dieses Films: Er beleuchtet einen Abschnitt deutscher Geschichte, der so gut wie nie im Kino vorkommt; Marx und Engels und der Kommunismus sowieso nicht. Peck präsentiert mit Mary Burns und Jenny Marx zwei starke Frauenfiguren. Überhaupt alle Schauspieler machen ihr Ding und das nicht schlecht.
Im Minus: Öfters vergisst der Film, dass er Kino ist. Sei es, dass er im endlosen Debattieren versinkt wie unsereins weiland nach dem Proseminar, oder dass er inszenatorische Macken hat: Wenn ich darstellen will, dass die englische Webmaschine der Arbeiterin die Finger abreißt, stelle ich niemand ins Zimmer, der erzählt, dass die Webmaschine die Finger abgerissen hat. Ich zeige die Finger.
Aber was soll’s: Raoul Peck, mach dich an „Kapital 1-3“!
Dieser Text ist zuerst erschienen in: Konkret
Hier gibt es eine weitere Kritik zu ‚Der junge Karl Marx‘.