Vom Fluch der Karibik zum Fluch der Waldklinik: Gore Verbinski war einmal der Hausregisseur deppscher Piraterie; mit der förderungsdeutsch-amerikanischen Koproduktion ‚A Cure for Wellness‘ wechselt er zum Schocksymbolismus im Schweizer Alpenkurhotel. Da bleibt er weiterhin im Wässrigen: Sauna und Becken, See und Essenz, Eintauchen und -flößen, tropfender Hahn und blutende Kuh, von ‚Purpurnen Flüssen‘ hab ich noch nie was gehört, dafür gibt’s hier forcierte Redeflüsse zum Thema Krank-Sein und Sehend-Werden, als Voice-over wie auch Dialog-Preziosen. Und dann fängt der Film noch vielsagend deprimierend unter pflichtbewusst unsympathischen Wirtschaftsbossen an. Hier will uns jemand irgendwas zur Leere und Malaise unserer heutigen Welt sagen. Aber was? Und heißt es was?
Wellness als Selbst-, Kultur- und Führungstechnik des umzäunten Wohlstands, das wäre ja ein Thriller-Thema und auch ein paar Gedanken wert. Also, genau hinschauende Infrastuktur-Kritik im Format und Tonfall von ganzheitlichem Regenerationsgrusel, das wäre doch mal was. Schade ist ja, dass heutige Tourismus- und Wohlfühlindustrie-Betriebe im aktuellen Unheimlichkeitskino immer als irgendwie runtergekommen, düster veraltet, unbehaglich gestrig etc. gezeichnet werden; das vergit sich somit viel an Wirklichkeitsvermittlung. So auch bei Verbinski: Krankenblatt, Dampfkasten und Heilgymnastik stammen aus dem Jahre Schnee, Hausmarke ‚Unrechtsregimes der traumatischen Moderne‘, und das Personal vor Ort ist so morbid wie es Kauz-Casting-Agenturen erlauben. Aber wer sich über sowas groß auslässt (also ich), kriegt wahrscheinlich das Wesentliche an dem ganzen Retroraumdesign nicht mit; und das ist wohl, dass hier in aller gebotenen Üppigkeit ins Visionäre gezielt wird (so lautet ein Schlüsselausdruck im Diskurs der cinephilen Würdigung dieser Big-Budget-Flause).
Sprich: Es hagelt immer neue Ergründungen geheimer Machinationen, immer neue, immer bizarrere Gänge durch Gänge, entlang von Schaukästen mit Mad Science-Mysterien und Inzest-Infamie-Innuendo. Wenn nach gut zwei Stunden alles wirklich längst auserzählt ist (und der Held zusätzlich zum Gipshaxen eine Zahnlücke hat wie Alfred E. Neumann), mündet das noch in ein Opernphantom-Finale. (Da scheißt sich jemand wirklich nix. Das allein verdient schon… Verwunderung.)
Das wird dargeboten in Babelsberger Gediegenheitsdekor (Grufti-Grind nach Vorschrift), zwischen Zitatschutt aus neun Jahrzehnten Horrorbarock. Der Film nötigt uns Wertschätzung für seine vielen Zitatstilblüten ab, und zwar im Minutentakt und auf Stichwort: ‚A Cure for Wellness‘ spells ‚A cue for Welles… a cue for Lynch… Polanski, Ken Russell, Jeunet & Caro, Frankenheimer, Ulmer, Hammer…‘ – you name it, Verbinski has it. Sehr visionär! Um es kurz zu sagen: Im Blaugrau-Look und Clip-Montage-Häcksler seines (eh sehr okayen) ‚Ring‘-Remakes von anno 2002 dreht Verbinski quasi ‚Shutter Island‘ neu. Sieht Hauptdarsteller Dane DeHaan als Banker-Detektiv, der zum unfreiwilligen Therapiepatient wird, deshalb aus wie Leo DiCaprio für die schmälere Geldbörse? Spielen Mia Goth, Susanne Wuest und Johannes Krisch ihrer klingenden Nachnamen wegen mit? (Nein, schon klar, das ist die Berliner Luft, die zumal die Ösi-Talente mit an den Produktionsort zieht. Außerdem sind alle drei Genannten in jüngster Zeit gattungseinschlägig und gesichtsprägnant in Erscheinung getreten.) Hier hat ja nun in ominöser Weise alles mit allem zu tun. Auch mit Aalen. Ja, echt! Aale in visionären Mengen bekommen wir hier mehrfach geboten. Sehr schleimig. (Früher waren im Grotesk-Kino nur die Luftkissenfahrzeuge voller Aale; jetzt sind es auch die Filme.) Sei’s drum: Gewollte Weirdness ergibt hier eine Art wohliger Wellness zum gepflegten Sich-Aalen in 146 Minuten kurzweiligem Designerkitsch.