Das Ende, spoiler ahead, ist eine Wucht. Edmond O’Brien macht als Versicherungsagent James Reardon alles richtig. Tut, was von einem Film Noir-Helden erwartet wird und widersteht den Versuchungen von Geld und Sex. Gibt den Schatz, den er schließlich birgt, an seinen rechtmäßigen Besitzer zurück, bringt die Frau, die ihn für sich behalten wollte, ins Gefängnis. In der letzten Szene ist er im Büro seines Chefs, der ihn darüber informiert, dass durch die Viertel Million Dollar, die er für die Versicherung zurück erobert hat, die Beitragssätze im nächsten Jahr um einen Zehntel Cent fallen werden. Und für den ob dieser guten Nachricht doch etwas geknickt dreinschauenden Reardon setzt er noch einen drauf: „Heute ist Freitag. Bis Montag brauchen sie nicht wiederkommen.“ Aber was macht Reardon, macht O’Brien, der wohl der Held, aber nicht der Star des Films ist? Er dreht sich als er aus dem Büro geht in der Tür noch einmal um, blickt in der letzten Einstellung, über der die Worte „The End“ erscheinen, direkt in die Kamera und lacht, macht mit zwei Fingern eine Geste des Abschieds, die wohl eher den Zuschauenden im Kinosaal gilt, als dem Chef im Film. Das ist eine der schönsten Definitionen des Glücks in der Filmgeschichte. Der Erkenntnis von der Vergeblichkeit allen Tuns frech ins Gesicht lachen. Den Hut ziehen vor einer Welt, in der sich moralische Integrität letztendlich genauso wenig auszahlt wie das Verbrechen (und diese Botschaft macht Robert Siodmaks Meisterwerk wohl auch zu einer Art Meta-Kommentar über das Filmemachen im Hollywood unter dem Hays Codes).
Doch beginnen wir am Anfang: „Ernest Hemingway’s The Killers“ steht als Titel in den Credits und tatsächlich ist Siodmaks Film damit auch eine ziemlich eigenwillige Literaturverfilmung. Hemingways gleichnamige Erzählung ist ein kleines Meisterstück des literarischen Minimalismus. Eine Handvoll Figuren, zwei Schauplätze, eine Handlung, die sich über nicht mehr als den Zeitraum von anderthalb Stunde erstreckt, kein Wort zu viel, nirgends. Und doch geht es in den schmalen zehn Seiten dieser Erzählung um alles, um Leben und Tod, um das verwirkte Leben und den sicheren Tod. Der Film versetzt die Handlung der Geschichte aus dem Chicago der Prohibitionsära in die Kleinstadt Brentwood in New Jersey in der Gegenwart des Jahres 1946. Hier kommen eines Abends zwei Männer in ein Diner. Sie zwingen den einzigen Besucher des Lokals, Nick Adams, der in vielen Kurzgeschichten des Autors vorkommt, dazu, in die Küche zu gehen, fesseln ihn und den Koch, erzählen, dass sie hier seien, um einen Mann, den sie nur den „Schweden“ nennen, zu töten. Nachdem sie das Lokal verlassen haben, rennt Adams über Hinterhöfe zu dem Hotel, in dem der Mann, der sich hier Pete Lund nennt, der „Schwede“ (Burt Lancaster), um seinen Arbeitskollegen bei der örtlichen Tankstelle zu warnen. Doch dieser starrt nur weiter lethargisch auf die Wand, unternimmt keine Anstalten zu fliehen oder sich zu wehren. Wartet ergeben auf sein Schicksal, seine Killer. So weit, so Hemingway, dessen Erzählung der Film die ersten zwölf Minuten lang fast wortwörtlich wiedergibt, deren Dialoge er größtenteils übernimmt, nur hier und da etwas kürzt und – den Vorschriften des Production Codes gemäß – entschärft (wozu auch zählt, dass der schwarze Koch, Sam, der in der Geschichte von allen Seiten, auch der des Erzählers, mit dem Wort „nigger“ bedacht wird, und auch darüber hinaus mit seiner Feigheit ganz rassistische Karikatur ist, hier wesentlich erträglicher dargestellt wird).
Davon abgesehen, dass sich der Film, bei fast gleichlautendem Text, in seinem Tonfall gewaltig von der Erzählung unterscheidet, die expressionistische Bildsprache, die die beiden Killer im Vorspann lange Schatten werfen lässt, unterstützt von der orchestralen, dramatisch aufspielenden Musik von Miklos Rozsa, geradezu einen Kontrapunkt setzt zu Hemingways lakonischer Sprache (wozu auch gerechnet werden muss, dass der Autor den Mord selbst absichtlich auslässt, während Siodmak zeigt, wie die beiden Männer die Trommeln ihrer Revolver in den Körper ihres Opfers entleeren und ihre finsteren Fratzen im Licht der Schüsse aufblitzen), nimmt Drehbuchautor Anthony Veiller die Geschichte nur als Exposition eines Filmes, der schon der Prämisse nach, zu erklären wie ein Mann dazu kam, in einem schäbigen kleinen Hotelzimmer todesergeben auf seine Mörder zu warten, purer Anti-Hemingway ist.
Auftritt Reardon, der, darin die Rolle der Zuschauenden einnehmend, versucht, das Rätsel um den Tod des „Schweden“ zu lösen, das weder die Polizei von Brentwood noch seinen Chef bei der Versicherung sonderlich interessiert. Der Film bebildert nun in Rückblenden die Erzählungen der diversen Zeugen, die der Ermittler bei seinen Nachforschungen trifft. Es entsteht eine Geschichte um Begehren, Besessenheit, Betrug, ums Scheitern und – immer wieder – den Tod, um eine frühzeitig beendete Boxerkarriere, eine femme fatale, einen Raubüberfall, ein verwirktes Leben. Schon die Rückblendenstruktur des Films sorgt dafür, dass der Plot keine Linearität annimmt, sondern vielmehr die Fetzen einer zerrissenen Biographie vor uns auftauchen, die auch die Schicksale der überwiegend deutschen Exilanten, die vor dem Naziterror in die USA flüchteten, spiegeln mag, ohne die das düstere Hollywood-Genre-Kino der Epoche nicht denkbar wäre: Edgar G. Ulmer, Billy Wilder, Fritz Lang, Otto Preminger oder eben Robert Siodmak und seinen Bruder Curt. Der Film Noir ist, nach der wunderbaren Definition von Rainer Knepperges, „eine Kunstform des Nachkriegs, die Mitleid mit Menschen hat, die ihre Seele verloren haben.“
Burt Lancaster, der zuvor unter anderem als Zirkusakrobat arbeitete, ist hier in seiner ersten Rolle zu sehen, mit der er gleich einen Archetypen des Noir schuf: den einer gefährlichen und betrügerischen Frau verfallenen, unendlich getriebenen, gebrochenen Antihelden. Und die Getriebenheit seiner Figur wird im klassischen Hollywood wohl nur noch von Humphrey Bogart als abgehalfterter, gewalttätiger Drehbuchautor in Nicholas Rays „<<TEXT:UNTERSTRICHEN>In a Lonely Place“ (1950) übertroffen. Lancasters „Schwede“ tut nicht, was von einem Film Noir-Helden erwartet wird, erliegt den Versuchungen von Frau und Geld, weist die bürgerliche Existenz von sich, indem er einem einstigen Freund, der inzwischen Polizist geworden ist, erklärt, dass er das Geld, das er bei der Polizei in einem Jahr verdienen würde, in guten Monaten als Profiboxer in einem Monat bekam. Der bürgerlichen Frau, die er haben könnte, und die schließlich den Polizisten heiratet, zeigt er die kalte Schulter zugunsten der in kriminelle Machenschaften verwickelten Kitty Collins (Ava Gardner, die ebenfalls hier erstmals in einer tragenden Rolle zu sehen ist, gibt neben Barbara Stanwyck in Wilders „Double Indemnity“ (1944) eine der maßgeblichen femme fatales der Ära). Es ist bemerkenswert, welche Macht über Männer dieser Film Frauen zugesteht, ohne dass sie ihnen jemals helfen würden, zu eigenständigen Subjekten der Erzählung zu werden, durch sie wird entschieden, wie der Lebenswandel eines Mannes aussieht, auf welcher Seite des Gesetzes er steht, aber sie selbst entscheiden nie, bleiben reine Verlängerung eines männlichen Lebens- oder eben Todestriebs.
Ein paar Blickwechsel mit Kitty, eine Zweiereinstellung der beiden und es ist um den Schweden geschehen. Er geht drei Jahre in den Knast, um sie von einer Anzeige wegen Diebstahls zu entlasten, vertraut ihr bis zum Schluss, dem „double-cross to end all double-crosses.“ Als er zeitweise als erfolgreicher Geschäftsmann auftritt, mag es der Mode der Zeit entsprechen, dass sein protziger Anzug aussieht, als sei er ihm mindestens drei Nummern zu groß. Es passt aber ungemein zu seiner Figur, der auf der Gewinnerseite des Lebens sich einzurichten einfach nicht vergönnt ist, der die Rolle, die sie hier spielt, eben buchstäblich zu groß ist.
Der Ermittler wird auch zu einem Wanderer zwischen den Welten, der sich durch verschiedenste Milieus bewegt, ohne einem von ihnen jemals wirklich anzugehören. So entwickelt der Film auch ein durch und durch brüchiges Gesellschaftspanorama. Von den Boxringen über gutbürgerliche Stuben zu einfachen Hotelzimmern, von vornehmen Herrenhäusern zu dem Nachtclub Green Cat, dessen namengebende Katzenskulptur in einer wunderschönen, bizarren Einstellung mittig im Bild zwischen den Gästen an der Bar thront, erhaben, majestätisch. In ihr spiegelt sich Kitty, schon ihrem Namen nach. Sie zeigt, was diese Frau sein könnte, würde man sie denn lassen. Der Spiegel, den das Kunstwerk, nach Auffassung der Realisten, der Gesellschaft vorhält, ist in diesem Film ein zersplitterter. Abbild einer Realität, die sich nur noch in (narrativen) Trümmern denken lässt. Realismus und Stimmungsbild einer Welt nach den kollektiven Traumata von Krieg und Faschismus gehen fließend ineinander über. Vielleicht ist Reardon, dem der Film außer seiner Arbeit, die sich schließlich kaum bezahlt macht, keinerlei Leben zugesteht, heimlich die tragischste Figur. Vielleicht kehrt „The Killers“ am Ende doch zu Hemingway zurück, der seine Kurzgeschichte mit den Worten enden ließ: „Well, (…) you better not think about it.“