Gene Tierney blickt in den Spiegel, während sie die oberen Knöpfe ihres Kleides öffnet. Doch aus dem Spiegel blickt nicht nur sie zurück, sondern auch Rex Harrison, den das Gemälde porträtiert, das auf der anderen Seite des Zimmers hängt. Tierney nimmt eine Decke, hängt sie über das Bild, fährt fort, sich umzuziehen. Nach einer Überblende steht sie im Nachthemd da, ordentlich bis oben zugeknöpft. Den rigiden Zensurbestimmungen des Hays Codes ist genüge getan – und dennoch sind die Blicke, die sich im Spiegel treffen, Ausdruck eines Begehrens, das als nekrophiles zu deuten es weder allzu viel noch einer allzu „schmutzigen“ Fantasie bedarf.
Tierney, die als schönste Frau im Hollywood der Vierziger gehandelt wurde, liebt als jung verwitwete Lucy Muir einen Geist, nämlich den des vor einigen Jahren verstorbenen Seekapitäns Daniel Gregg (Harrison). Das Gemälde, das Gregg zeigt, lässt sich auch als Anspielung auf Tierneys wohl berühmteste Rolle als Titelfigur in Otto Premingers „Laura“ (1944) verstehen, in die (bzw. ihr Porträt) sich ein von Dana Andrews gespielter Polizist verliebt, der im Fall ihres vermeintlichen Mordes ermittelt. Beide Filme beruhen, wie auch Nicholas Rays meisterlicher, die misogyne Geschlechterordnung des Film Noir auf den Kopf stellender „In a Lonely Place“ (1950), auf von Frauen geschriebenen literarischen Werken. Es scheint, dass dies die einzige Möglichkeit ist, dem schwelenden Sexismus einer Zeit etwas entgegenzusetzen, in der Frauen zwar – immerhin! – Bücher schreiben durften (ein Verleger sagt in dem Film: „20 Millionen unzufriedene Frauen auf den britischen Inseln, und jede einzelne von ihnen schreibt einen Roman. Und ich muss das Zeug veröffentlichen, um im Geschäft zu bleiben.“), aber mitnichten Filme drehen (Dorothy Arzner blieb im klassischen Hollywood bis in die Fünfziger, als ihr Ida Lupino folgte, die einzige Regisseurin). Während es bei Preminger noch darum ging, eine männliche Allmachtsfantasie zu entlarven, die darin bestand, Frauen besitzen zu wollen wie man etwa ein Gemälde besitzt, sie den eigenen Wünschen und Bedürfnissen entsprechend zu formen wie ein Künstler sein Objekt und das mit dieser einhergehende, sehr buchstäblich zu verstehende Frauenbild, besteht der feministische Twist bei Mankiewiecz und Ray darin, vielleicht genuin weibliche Perspektiven in ihre Filme einzubringen, zumindest aber für ihre Zeit bemerkenswerte, selbstbestimmte Frauenfiguren zu zeichnen. Es ist nun bezeichnend für „The Ghost and Mrs. Muir“, dass das Gemälde, von dem die (Blick-)Strukturen des Begehrens ausgehen, hier nicht mehr Tierney zeigt, sondern ihren männlichen Gegenpart in voller Kapitänsmontur. Ein Männerbild und ein Bild von einem Mann.
Doch beginnen wir am Anfang. Schon in der Vorgeschichte scheint der Tod als Erlösung zu fungieren. Verstorben ist Mr. Edwin Muir, und dass das Witwendasein für Lucy einer Befreiung gleichkommt, ihr erlaubt, so sagt sie, erstmals ein wirklich eigenes Leben zu führen, ist bei der Art, wie sich der Film von der ersten Szene an bedingungslos auf ihre Seite schlägt, eher als radikalfeministisches denn als zynisches Statement zu verstehen.
Von den Pflichten einer Ehe entbunden, die weder sonderlich glücklich noch über die Maßen unglücklich, sondern wohl ziemlich durchschnittlich, ziemlich egal war, beschließt Lucy dem London zur Jahrhundertwende, wo eine Texttafel das Geschehen zu Beginn verortet, den Rücken zu kehren. Und weg aus der großen Stadt, weg von ihrer Schwägerin und Schwiegermutter, das heißt für sie wohl auch weg von der Welt. Man muss nicht allzu weit vorgreifen, um zu sehen, dass sich Lucy abkehrt von der Rolle, die die Gesellschaft ihr als Frau zuerkennt, sich von den Fesseln der „blasted in-laws“, wie sie einmal im Seemannsslang sagt, befreit (und es ist keinesfalls zufällig, sondern verdammt gut beobachtet, dass diejenigen, die sich zu Hüterinnen der patriarchalen Ordnung erheben, selbst Frauen sind). Lieber von den anderen für verrückt, schrullig, asozial gehalten werden, aber dafür sein eigenes Ding machen können. Also raus aus der Stadt mit ihrer Tochter Anna und der Hausangestellten Martha und an die Küste, ans Meer.
Und auch bei dem Immobilienmakler zeigt sich Lucy als Frau, die ihren eigenen Kopf hat. Gegen alle Versuche des Maklers, sie von ihrer Wahl abzubringen, entscheidet sie sich für Gull Cottage, ein Haus mit Blick aufs Meer, das der einstige Besitzer, Kapitän Daniel Craig, sich selbst für seinen Lebensabend errichtete. Dass eben jener Kapitän, wie sich schnell herausstellt, immer noch durch das Haus spukt, kann Lucy nicht verschrecken, sondern sie findet es, ihrem eigenen Bekunden nach, „absolut faszinierend“.
Toll ist die für den Oscar nominierte Schwarz-Weiß-Fotografie von Charles Lang. Etwa wenn Lucy im Licht einer Kerze riesige Schatten an die Wände wirft oder sie versucht, die Fenster vor einem draußen tobenden Gewitter zu schließen. Noch viel toller ist das Drehbuch von Philipp Dunne, der bereits für John Fords Meisterwerk „How Green Was My Valley“ (1941) das Script lieferte und durch seine 1936er-Adaption von „The Last of the Mohicans“, einem furiosen Schlachtengemälde, das aber mit seiner Mischung aus Kostümfilmbetulichkeit und kolonialer Ideologie etwas schwer verdaulich daher kommt, auch noch einen Credit bei Michael Manns Version des Stoffes von 1992 erhielt. Von Ford bis Mann, was für eine Karriere!
Ich weiß nicht mehr, wo ich gelesen habe, dass wer das „N-Wort“ sagt oder schreibt, seine/n ZuhörerIn oder LeserIn dazu zwingt, „Nigger“ zu denken. In Dunnes messerscharfen Dialogen geht es um andere Wörter, die auszusprechen schon der blasted fucking Production Code verbat. Auf Lucys Bemerkung, dass Gregg nicht so viel fluchen sollte, weil das eine sehr hässliche Angewohnheit sei, erwidert er: „Wenn du glaubst, dass das hässlich ist, dann solltest du meine Gedanken lesen.“ An anderer Stelle, als Lucy, nachdem die Einnahmequellen durch die Goldmine ihre Mannes versiegt sind, beschließt für Gregg seine Memoiren niederzuschreiben, nicht nur, aber auch, um sie zu Geld zu machen, streiten sie sich ebenfalls über ein Wort, das sie für schrecklich erklärt, während er meint, es wäre ein gutes Wort, um das zu bezeichnen, was es meint. Wesentlich interessanter als die Frage, ob besagtes Wort nun mit „F“ oder „S“ beginnt, ist die Tatsache, dass der Film (nicht nur) auf der Ebene der Sprache eine Hypersensibilität für das Unausgesprochene und Unaussprechliche entwickelt, für den Unterstrom aus Lust, Liebe und Begehren, aus Todessehnsucht und Neurosen, der bei Einhaltung der Sprach- und Bildreglungen des Codes die Moral, die diesem zu Grunde liegt, gründlich unterminiert.
Liebesbekenntnisse zwischen Mrs. Muir und ihrem Geist gibt es unterdessen keine. Vielleicht ist die Szene, in der die beiden einander am nächsten sind, eine im Zug aus London zurück ans Meer nach dem sehr erfolgreichen Gespräch bei einem Verleger. Als ein Mann seinen Kopf ins Abteil steckt, wird er durch eine Schimpfkanonade des Kapitäns, den er selbst nicht sehen kann, vertrieben und wundert sich sehr über die Wortwahl einer so distinguiert erscheinenden Dame. Nachdem er sich zurückgezogen hat, brechen die beiden in ein viel zu kurzes lautes Gelächter aus, von dem man sich wünschen würde, dass es ewig andauern möge – oder zumindest, dass es so ausgeschlachtet würde wie in den Filmen von Roger Fritz die einmalig fiese Lache Klaus Löwitschs oder wie in vielen italienischen Genrefilmen das Gelächter der Bösewichter.
Der Geist rät Lucy, sich mehr der Welt zuzuwenden, Männer kennen zu lernen, was zunächst absolut nicht ihre Absicht ist. Bei ihrem Verleger trifft sie schließlich doch einen, Miles Fairley, der von George Sanders gespielt wird, dem charmantesten Gauner im Hollywood der Vierziger. Er malt Lucy am Strand beim Baden und dieses Porträt hängt eine Weile neben dem von Gregg. Als sich Lucy und Fairley im Garten küssen, fährt die Kamera durch das Geäst zurück bis sie Gregg erfasst, der den beiden an einen Baum gelehnt zusieht. Er dreht sich in Richtung Kamera, so dass er die beiden Liebenden für einen Moment verdeckt, dann gibt er den Blick auf sie wieder frei, indem er aus dem Bild geht. Eine einzige Einstellung, in der sich die ganze Verzwicktheit eines wahrlich sonderbaren Beziehungsdreiecks ausdrückt. Fairley verfügt bei seinem ausgeprägten Charme und seinem noch ausgeprägteren Zynismus zwar hier über keine nennenswerten kriminellen Energien, vergisst es aber Lucy gegenüber zu erwähnen, dass er verheiratet ist.
Nach dieser Enttäuschung zieht sich Lucy nach Gull Cottage zurück, wo Gregg die Schlafende mit einer denkwürdigen Rede verabschiedet, um sich nun zurück zu ziehen, sie, so sagt er, dem Leben zu überlassen. Doch die Hinwendung zur Welt ist Lucys Sache noch immer nicht. Ihrer inzwischen herangewachsenen und nun von Natalie Wood gespielten Tochter erklärt sie, auf die Aufforderung hin, zu ihr und ihrem Verlobten nach London zu ziehen (das muss ich einfach im Original zitieren): „You can be much more alone with other people than you are by yourself, even if it’s people you love.“
Schließlich kommt der Tod als Happy End und die große Liebe als das, was ihn überlebt. Selten sind in einem Film, auch über das Studiosystem hinaus, eine sehr hollywoodtypische Vorstellung von Romantik, das christliche Heilsversprechen vom ewigen Leben, für das die Welt ein zu durchschreitendes Jammertal ist, und schiere Todessehnsucht eine so unheimliche und gespenstische Allianz eingegangen.
Der Film liegt nun erstmals im deutschsprachigen Raum auf einer schlichten, aber soliden DVD von Winkler Film vor, die bereits vergangenen September erschienen ist. Darauf befindet sich der Film in guter Bildqualität auf Deutsch und Englisch sowie mit Untertiteln in diesen Sprachen. Als Extras gibt es einen Trailer, eine Bildergalerie und – immerhin! – ein Wendecover.