Zwanzig Jahre nach dem Wiener Fahrradboten seines Regiedebüts ‚Tempo‘, 17 Jahre nach Franka Potente als ‚Anatomie‘-Studentin unter Serienkillern und drei Jahre nach der stylishen Psychologisierung des Nazimassenmords in ‚Das absolut Böse‘ schickt der Wiener Regisseur Stefan Ruzowitzky (bevor demnächst sein britischer Zombiefilm ‚Patient Zero‘ an den Start geht) nun eine türkischstämmige toughe thaiboxende Taxlerin durch ein verregnetes Wien. Sie wird bedrängt von Männermachtritualen mehrheitsösterreichischer Art wie auch in ihren Herkunfts- und Freizeitmilieus (triste Wohnungen, ein Gym, also Boxsportcenter mit Sparringkäfig) – und vor allem von einem folterfreudigen Ritual-Frauenmörder, der ihr mit dem Messer nachstellt, nachdem sie zur Zufallszeugin einer seiner Untaten geworden ist.
Wortspiele mit dem Filmtitel ‚Die Hölle‘ verbieten sich. Sie wären auch unzutreffend. Eher gezielt räudig bis unfreiwillig holprig spielt dieser Thriller – der außerhalb Ösistans auch mit Titelzusatz als ‚Die Hölle – Inferno‘ antritt, wohl weil nicht sofort klar ist, was eine Hölle für eine Art von Ort sein soll, und weil ‚Inferno‘ mal ein etwas anderer Filmtitel ist – seine zweifellos vorhandenen Stärken nicht wirklich aus und betont eher seine ebenso merklichen Schwächen. Nach dem Hollywood-Einstand von Ruzowitzky (Auslands-Oscar für ‚Die Fälscher‘, 2008) mit dem stimmungsvollen und – blödes Wort – kompetenten Country-Krimi-Beziehungsdrama ‚Deadfall‘ (synchrondeutsch: ‚Cold Bood‘, 2012), ist es schon erstaunlich, wie grob hier nun die Musik Dramatik markiert und wie sehr in Nebenrollen geknödelt wird. Eine stark choreografierte Autoaction-Sequenz mit Messermörder auf dem Rücksitz sticht hervor, ein Hauch von Giallo bleibt hier nur ein Hauch. Mehr davon wäre fein gewesen.
Als Ethno- und Milieupanorama bietet ‚Die Hölle‘ sympathische Ansätze – und bezahlt sie teuer. Auf eine Reihe gelungener Bilder düsterer Wien-Peripherie (Gürtelgegend und weiter westlich in Ottakring) folgen im Schlussdrittel erste Szenen bei strahlendem Sonnenschein, die just rund um die Mölkerbastei und das Rathaus spielen; vermutlich weil in teurer Innenstadtlage halt alles schöner ist. Entwicklungsromanhaft zielt der Plot ins Gute und landet punktgenau bei Herrschaftsideologien: Die wortkarge, sich rasch handfest behauptende Hauptfigur (gut: Violetta Schurawlow) absolviert einen erwartungsgemäßen – und erwartungsgemäß depperten – Prozess von ‚Verweiblichung‘ mit Traumagarnierung; der Wiener Kripo-Ermittler wird als rassistischer Gockel mit Hang zum schnellen Schimpfwort und sexistischer Bevormundung eingeführt – und dann von Martin Ambroschs Skript, das offenbar vor seinem eigenen Mut in der Figurenzeichnung zurückscheut, als fürsorglicher Alter-Vater-Pfleger und liebenswerter Traummann entproblematisiert (Tobias Moretti spielt beides gekonnt). (Robert Palfrader spielt, wie in jeder österreichischen Film- und Fernsehproduktion derzeit, auch kurz mit; den dementen Vater gibt Friedrich von Thun charmant.) Und wenn eine Türkin – die, wie alle hier, nur Deutsch spricht – zuhauen darf, dann eigentlich nur auf Orientalen, und ihr in einer starken Szene vor dem Krankenhauszimmerspiegel demonstrierter Killerinstinkt gegenüber dem Mann, der ihr ans Leben will, geht in der Form wohl nur deshalb, weil ihre Jagd einem Serienmörder gilt, der Araber ist (gespielt von Sammy Sheik). Ist die in Zeiten allgemeiner Dämonisierung von ‚Willkommenskultur‘ etwas gar gschmackige Werbezeile des Films, wonach nicht wir in die Hölle kommen, sondern die Hölle zu uns kommt, also womöglich mehr als eine Entgleisung? Das weiß der Himmel. Ungut ist das in jedem Fall.