„Da kommt ja gar kein Licht hinein.“ „Aber auch keines hinaus.“ Und ums nicht (recht) Hineinkommen und (nie wieder) Hinauskommen geht es im Langfilmdebüt von Nikias Chryssos (Regie, Drehbuch, Produktion). Der da zu Beginn hinein kommt in die Bunkerwohnung, aber bei dem, was hier vor sich geht, doch lange Zeit außen vorbleibt, ein Fremder, ist der Student (Pit Bukowski gibt ihn mit charakteristischer Hasenscharte und zunächst stoischer Ruhe angesichts des Abstrusen, ja, auch Grausamen, was ihm hier begegnet, unter der man doch mehr und mehr das Brodeln wahrnimmt). Abgeschiedenheit und Ruhe sucht er für seine Studien, die, wie so manches in diesem Film, absolut kryptisch, ein Rätsel bleiben. Die Schneelandschaft, durch die er den Bunker in den ersten Szenen erreicht, lässt kunstvoll offen, wie es um den Rest der Welt, (zumindest den Rest von Deutschland, denn hier befinden wir uns bei aller Abgeschiedenheit, allem aus Zeit und Raum Fallen des hermetisch abgeriegelten Schauplatzes) doch sehr deutlich bestellt ist.
Der ihn aufnimmt in seinen Bunkerkeller, in den kein Licht hinein kommt und keines hinaus, das ist der Vater (schnurrbärtig schmierig: David Scheller). Er macht dem Neueingetroffenen erst einmal ein Fußbad, was man mit Oliver Nöding schon deshalb nur schwer für ein Zeichen christlicher Nächstenliebe halten kann, weil er denkbar grotesk darüber witzelt, aus dem Wasser anschließend ein leckeres Süppchen für alle zu kochen. Zu der Familie, in die der Student hineingerät, gehören außer ihm noch die Mutter (matriarchalisch bis hysterisch: Oona von Maydell), sowie der achtjährige Sohn Klaus, der als einziger einen Eigennamen trägt, der über seine Funktion in der Versuchsanordnung dieses Films hinausgeht, und von einem erwachsenen, beeindruckend geschminkten Darsteller (noch verstörender als das restliche Personal: Daniel Fripan) gespielt wird.
Vier Figuren (fünf, rechnet man „Heinrich“ mit, eine Art Gottheit, die den Körper der Mutter bewohnt und durch eine vage cronenbergeske Wunde an ihrem Bein in Erscheinung tritt), ein Bunkerhaus, das die Kamera nur einmal verlässt und das auch nur, um zu zeigen, dass es draußen auch nichts gibt außer Schnee und kahlen Bäumen und den Bunkereingang, das ist das Ensemble und die Welt von „Der Bunker“. Chryssos filmt das mit größtem Gespür für Atmosphäre und Stimmung in Einstellungen, die luft- und lichdicht erscheinen und bei denen nur äußerst selten jemand den Bildkader betritt oder verlässt, die Figuren meist so statisch bleiben wie die Kamera. Die Scope-Blicke der Kamera können niemals in die Weite gehen, immer nur die vage an die Fünfziger erinnernde Tristesse des titelgebenden Schauplatzes mit einfangen. Jedes Bild ein eigener Bunker.
Es begibt sich nun, dass der Student, weil er bei den Knödeln noch mal einen Nachschlag nimmt, Schulden bei seinen Vermietern akkumuliert, die er begleichen soll, indem er Klaus unterrichtet. Der Bambusstecken wird ihm vom Vater gleich beim Betreten des Klassenzimmers gezeigt, von dem Gebrauch zu machen sei, sollte Klaus nicht parieren. Und mindestens so enervierend wie die Lernresistenz des Schülers sind die ständig wiederholten Fragen des Lehrers („Hauptstadt von Frankreich?“), die mit einem Nachdruck und einer Insistenz gestellt werden, die den Bambusstab auf den Fingern tatsächlich als logische Verlängerung des verbalen Drills erscheinen lassen. Es ist eine der hinterhältigen Pointen dieses Films, dass diese Art der Erziehung dann auch tatsächlich nur mit Schlägen funktioniert. Das Lernen der Hauptstädte, das zunächst nur mit Schummeln durch den Studenten vorgetäuscht wird, gelingt Klaus erst tatsächlich, als der Student vom Bambus Gebrauch macht. Die Verbände an den Händen des Jungen, durch die am Ende das Blut suppt, geben direkten Aufschluss über voranschreitende Lernleistungen.
Ödipales gibt es in der Konstellation des Films durchaus. Allerdings bezeichnenderweise nicht bei Klaus, sondern beim Studenten. Nachdem er Klaus besonders erfolgreich unterrichtet hat, kommt die Mutter zum sonderbar desinteressierten Fick in seinem Zimmer vorbei, bei dem er beständig weiter „arbeitet“, also seitenweise Papier mit konzentrischen Kreisen und Kästchen vollschmiert, um hinterher eine Wand seines Zimmers damit zu tapezieren. Und wenn der Student schließlich am Schluss die Schnauze endgültig voll hat von den Marotten seiner Gastfamilie, stürzt er sich kampfeslustig auf den Vater. Ob man hier mit Freud aber wirklich weiterkommt, ob es etwa um das Nicht-Überwinden des Ödipuskomplexes geht, der der Psychoanalyse ja als notwendiger Akt der Zivilisierung des Kindes, der Zügelung seines Urbedürfnisses nach sex and violence gilt, und der also zu dem, was man gemeinhin Erwachsenwerden nennt, unumstößlich dazu gehört, und ob das Ausbleiben dieser Überwindung eben zu erwachsenen Kindern führt, sei dahin gestellt.
Überhaupt bleibt der Film bei aller Geschlossenheit der Diegese wie der Form erfreulich offen für Lesarten aller Art – ohne sich irgendeiner von ihnen jemals ganz zu verpflichten. Sicherlich ist „Der Bunker“, in dem mit Klaus einem, gelinde gesagt, nicht übermäßig begabten Kind die Bürde aufgelastet wird, es bis zum Präsidenten schaffen zu müssen, dieser niemals auf eine normale Schule geschickt wird, weil er laut seiner Eltern dort unterfordert sei, auch ein groteskes Zerrbild der beinahe schon zum Klischee erstarrten gutbürgerlichen Familie, die ihre Kinder vom Geigen- zum Klavier- zum Schach- zum Schwimmunterricht bringen, ohne ihnen in ständiger Vorbereitung auf eine (Arbeits-)Welt, in der mensch nicht nur alles können, sondern in allem der oder die Beste sein muss, Raum für Freizeit, Spielen, Nichtstun zu lassen. „Das ist doch grausam.“ „Das ist Erziehung.“
Nachdem Drop-Out Cinema den Film im Januar in die Kinos gebracht hat, erscheint er nun am 22.07.2016 bei Bildstörung auf DVD und Blu-ray. Wie von diesem Label nicht anders gewohnt, handelt es sich dabei um bestens ausgestattete Scheiben, die neben einem einstündigen Making-Of, das in Interviews den gesamten Entstehungsprozess des Projekts von der – äußerst schwierigen – Finanzierung über den Dreh bis hin zum Schnitt nachzeichnet, auch einen Audiokommentar des Regisseurs enthält. Im Booklet schreibt Oliver Nöding sehr ausführlich über den Film und gibt in einem recht langen Exkurs gelehrigen Aufschluss über die Geschichte des deutschen Genre- (vor allem Horror-)Films von den „expressionistischen“ Klassikern der Zwanziger bis zur aktuellen Renaissance durch Filme wie „Der Bunker“, „Der Nachtmahr“, „Der Samurai“ (den ich hier mit aufzähle, auch wenn ich ihn immer noch nicht gesehen habe) oder „German Angst“ (wobei ich hier unbedingt noch „Tore tanzt“ mitrechnen würde, ein waschechter deutscher „torture porn“, no less). Neben dem üblichen (Trailer, Out-takes) wird die wirklich vorzügliche Edition abgerundet durch zwei Kurzfilme, die Chryssos während seines Studiums an der Filmakademie Baden-Württemberg realisierte: „Schwarze Erdbeeren“ (2005) und „Der Großvater“ (2012). Beide geben schon eindrucksvoll davon Zeugnis, wie er es versteht, aus einem Minimum an Figuren und Setting ein Maximum an Intensität und Atmosphäre herauszuholen.