Vier Gestalten stehen in einer merkwürdigen Zeremonie im fackelbeschienenen Halbkreis um ein Feuer. Es ist Nacht auf dem ländlichen Anwesen. Und im Hintergrund zeichnet die beleuchtete Fassade eines alten Bauernhauses ein orangefarbenes Rechteck ins Dunkel. Offensichtlich zelebrieren die vier, zwei junge Frauen und zwei junge Männer, mit feierlichem Ernst eine Feuerbestattung. Die Exposition von Joanna Coates‘ bemerkenswertem Debütfilm „Das Liebesversteck“ („Hide and Seek“) ist ein Vorgriff auf eine spätere Szene des Films, in der das verschworene Quartett symbolisch einen Sarg aus Pappmaché verschließt und zur Feuerstelle trägt. Was hier den Flammen überantwortet wird, ist der endgültige Abschied vom alten Leben und seinen einengenden Konventionen, die kurz zuvor in Gestalt eines außenstehenden Eindringlings noch einmal mit Vehemenz in die idyllische Gemeinschaft eingebrochen sind. Joanna Coates‘ kunstvoll gemachter Film handelt von nichts weniger als der zeitgemäßen Form einer romantischen Liebesutopie.
Wenn sich zu Beginn Leah (Rea Mole) und Max (Josh O’Connor), die sich offensichtlich kennen, für ein Lebens- und Liebesexperiment verabreden, geschieht das in vagen Andeutungen. Leah hat offensichtlich ihr Elternhaus auf dem Land geerbt und will dort mit Freunden eine Wohngemeinschaft gründen. Max assoziiert dazu ein Kindheitserlebnis am Meer, in dem die Sehnsucht nach Unschuld und Zeitlosigkeit mitschwingt. Parallel zu diesem Gespräch werden in einer asynchronen Bild-Ton-Montage die Figuren Charlotte (Hannah Arterton) und Jack (Daniel Metz, der auch am Drehbuch mitgearbeitet hat) eingeführt, die offensichtlich gerade ihre jeweiligen Beziehungen verlassen haben. Über die persönlichen und sozialen Hintergründe der Figuren, ihren gesellschaftlichen Status, ihre Motivation zur Teilnahme an dem Abenteuer oder auch ihre psychische Verfassung wird kaum etwas gesagt. Joanna Coates‘ elliptisch erzählter Film überrascht durch seine Offenheit und definiert sich zu einem guten Teil über seine Auslassungen bzw. über das, was er im Vergleich zu konventionelleren Filmen ausspart.
Der gemeinsame Aufbruch in ein neues Leben beginnt mit einer Fahrt in die Nacht, die als Tabula rasa fast alle bekannten Zeichen auslöscht. Einer sagt, das Benzin reiche nur für die Hinfahrt und es gebe deshalb kein Zurück. Nach der Ankunft hat die Suche nach Freiheit noch keinen Plan. Alles ist vage, unsicher und unbestimmt. Noch sind alte Verhaltensmuster, sind Befangenheit und ein lauerndes Misstrauen in Kraft; noch schieben sich alte Erinnerungen ins Heute, noch ist alles Vorsicht und Kontrolle, fehlt der „richtige“ Halt“. Erst allmählich wird das Alte neu, verwandelt sich das Leben. Man solle sich von seinen Trieben leiten lassen, lautet ein Vorschlag; ein Schlafzimmerplan mit wechselnden Paarbildungen wird notiert; ein Kennenlernspiel wird angekündigt, aber nicht gezeigt. Schließlich führt gemeinsames Aktzeichnen zu einem ersten Durchbruch in den Raum körperlicher Intimität. Joanna Coates umgibt diese, begleitet von Beethovens Klaviersonaten und in Ausblicken auf poetische Naturstimmungen, mit einer fast sakralen Aura. Initiiert werden diese Aufbrüche stets durch phantasievolle Rollenspiele, illusionistisches Theater, erfundene Geschichten, durch Lieder und Tänze. Die Kunst wird zum Medium der Verwandlung, die fern von Alltag und Politik neue und offenere Beziehungen und eine geradezu symbiotische Sexualität ermöglicht.
Wenn also Simon (Joe Banks), Charlottes langjähriger Freund, unerwartet die noch junge Liebesidylle betritt, wird er zum fremden Eindringling, der die frisch gewonnene Harmonie des Quartetts empfindlich stört. Simon kommt mit angebotenen, aber als aufgezwungen erlebten Freiheiten nicht klar, was auch den mittlerweile eroberten Abstand der Gruppe zu den überkommenen Konventionen zeigt. „Was sich hier abspielt, ist nicht die Wirklichkeit“, sagt er aufgewühlt, bevor er die verschworene Gemeinschaft wieder verlässt. Dass es sich bei ihrem glücklichen und für einmal geglückten Miteinander, das den Traum ewiger Vereinigung träumt, um eine Art Paradies auf Erden handelt, daran lässt Coates‘ ungewöhnlich „freier“ Film keinen Zweifel – auch keinen ironischen. Die ernste, experimentelle Form ihres in der Behandlung von Ort, Zeit und Handlung geradezu klassischen Kammerspiels verwahrt sich souverän gegen den möglichen Vorwurf eines unzeitgemäßen Eskapismus; und macht aus ihrer „Erforschung möglicher Lebensstile außerhalb des Mainstreams“ (Coates) eine „wahre“ Utopie.