Ist natürlich schon etwas blöd, dass die Dokumentation über Janis Joplin von Amy Berg ausgerechnet jetzt in den Kinos anläuft, wo alle Welt gerade damit beschäftigt ist, mit dem plötzlichen Tod von David Bowie klar zu kommen. Wo überall von Meta-Ebenen bei der popkulturellen Signifizierung von Einsamkeit und Verlorenheit, vom artifiziell-reflexiven »Being-an-Alien« zu lesen ist. In diesem Kontext wirkt der maskuline Blues-Rock, mit dem Janis Joplin sich ausgedrückt hat, noch straighter und muffiger authentisch als ohnehin schon.
Joplin steht in gewisser Weise exemplarisch für die Generation vor Bowie, der glücklichweise durch die Warhol-Schule gegangen ist und sich über schützende Inszenierungen alternativer Ego-Entwürfe Gedanken machte, wo Joplin »nur« ihr »real me« verausgabend in den Ring werfen konnte, um Wünsche zu formulieren und von Ängsten zu sprechen. Als »little girl«, deren Power und Selbstbewusstsein immerhin hinreichte, um eine durchaus in ihren Möglichkeiten limitierte Bluesrock-Band auf Kurs zu bringen, aber selbst in ihren erfolgreichsten Karriere-Phasen immer damit rechnen musste, von Männern wie Country Joe McDonald schmerzhaft versetzt zu werden. Was in diesem Film sogar noch retrospektiv vor laufender Kamera geschieht.
Kann die Sängerin Janis Joplin als exemplarisches Beispiel für eine selbstbewusste Künstlerin gelten, die in den 1960er Jahren Karriere in dem von Männern dominierten Musikbusiness machte? Mag sein, so ganz sicher ist sich die betont sorgfältig gearbeitete Dokumentation von Amy Berg da auch nicht, zumal sie die Künstlerin auf eine angenehme Weise zurückhaltend auf Distanz hält und sie nicht zu einer Repräsentantin für irgendetwas („the quintessential middle-class-misfit“ wurde Joplin einmal in einer TV-Dokumentation genannt) zu machen trachtet.
Janis Joplin hatte das große Glück, dass ihr die prosperierende Gegenkultur der Hippie-Zeit einen Platz anbieten konnte, an dem sie ungewöhnliches Talent zumindest für eine kurze Zeit ausleben konnte, wenngleich sie von ihrer Selbstwahrnehmung der „All American Girl“-Idee verhaftet blieb und ihren Eltern brav Briefe nach Hause schrieb, in denen sie um Anerkennung kämpfte. Die Biografie, die Amy Berg unter Einbezug von reichlich Archivmaterial (immer wieder dieses Staunen über den Materialreichtum, der aus den Archiven zu bergen ist!) und durch teilweise widersprüchliche Interviews mit überlebenden Zeitzeugen wie Bob Weir, Dick Cavett oder Country Joe McDonald rekonstruiert, ist durchaus schmerzhaft und zeugt von großen Verletzungen und Verunsicherungen.
Ihre Jugend in der texanischen Provinz muss man wohl als traumatisch bezeichnen, ihr unkonventionelles Verhalten eckte an und wurde mit offenem Sexismus gekontert. Auf dem College wurde Janis, die bereits ein Faible für den Blues und Beatnik-Literatur hatte, von ihren Kommilitonen zur Strafe zum hässlichsten Jungen des Jahrgangs gewählt. Was für eine Verletzung! Doch auch ihr erster Versuch, in Kalifornien eine Bohéme-Existenz zu führen, endet als Desaster. Ihre Freunde schicken sie nach Hause zurück, weil sie dabei war, sich mit Drogen und Alkohol zu ruinieren. Erst beim zweiten Anlauf gelingt die Karriere, doch spätestens nach ihrem legendären Auftritt beim Monterey Pop Festival 1967 ist Joplin bereits zu groß für ihre Band Big Brother And The Holding Company, mit der sie ein Star geworden war. Ihre Solo-Karriere in anderen Band-Konstellationen war ein stetes Auf und Ab, immer verbunden mit Drogen- und Alkoholproblemen. Ihre prinzipielle Unsicherheit und Einsamkeit konnte Janis Joplin wohl nur auf der Bühne vor Publikum ablegen.
Weil der Film chronologisch erzählt wird, werden die zahllosen Verletzungen und Frustrationen sehr deutlich, wenngleich sich Joplin in der Öffentlichkeit ganz anders präsentiert als in den erstaunlich kompromissbereiten Briefen an die Eltern. Wer sich mit der Biografie der Janis Joplin bereits auseinandergesetzt hat, wird in diesem Film nicht allzu viel Neues entdecken, zumal das Material von Filmen wie „Monterey Pop“ oder „Festival Express“ einschlägig ist. So entsteht die filmische Rekonstruktion einer zutiefst unglücklichen Biografie, die tatsächlich an den Verhältnissen und auch an den Aporien des Zeitgeistes, der mehr von Befreiung schwärmte, als er de facto einzulösen vermochte, kaputt ging.
Das Glück, das Janis Joplin auf der Bühne mit ihrer Performance zu teilen verstand, war jenseits der großen Öffentlichkeit für sie nicht oder nur beim Jammen mit befreundeten Musikern zu haben. Aber auch hier war sie immer etwas too much, vielleicht. Eine existentielle Ungleichzeitigkeitserfahrung immerhin, die vielleicht auch auf die Biografien anderer Künstler wie Brian Jones, Marvin Gaye oder Sly Stone anwendbar sein könnte. Die nicht über den dagegen autonomisierenden Schutzpanzer des »Erzählers« David Bowie verfügten.