Hinter den sieben Bergen, bei den sieben Zwergen, genauer: im kargen Norden Islands leben die beiden Schafzüchter Gummi und Kiddi auf unmittelbar benachbarten Farmen. Gummi und Kiddi sind Brüder, haben aber seit Jahrzehnten kein Wort mehr miteinander gesprochen. Lässt sich Kommunikation aber partout nicht vermeiden, fungiert ein zutraulicher Hund als Postbote zwischen den Häusern. Regelmäßig begegnen sich die Brüder wohl nur beim alljährlich stattfindenden regionalen Schafzüchter-Wettbewerb, bei dem die Vorzeige-Exemplare ihrer uralten Rassen regelmäßig reüssieren. Klar, dass sich die beiden Brüder auch bei dieser Gelegenheit keines Blickes würdigen. Dass die beiden Männer auch äußerlich keinen Zweifel daran lassen, dass sie in Symbiose mit ihren Tieren leben und damit vielleicht einsam, aber auch glücklich sind, verführt den Filmemacher Grimur Hákonarson, einem gelernten Dokumentaristen, nicht dazu, sich vorschnell für eine skurril-exotische Wohlfühlkomödie zu entscheiden. Zwar sind die Lebensumstände der Brüder seltsam ritualisiert, aber das Leben ist dort, wo sie leben, auch nicht gerade Zuckerschlecken. Eher schon ein Western.
In diesem Jahr gewinnt Kiddis Schafsbock überraschend den Wettbewerb, was Gummi gleich schon mal den Tag verhagelt. Einmal misstrauisch geworden, entdeckt er in der Herde seines Bruders einen Verdachtsfall auf eine gefährliche, weil ansteckende und tödliche Hirnkrankheit. Falls sich der Verdacht bestätigt, müssen die Herden des gesamten Tales notgeschlachtet und keine neuen Tiere angeschafft werden, was für die meisten Züchter existenzbedrohend ist. Hákonarson spricht im Presseheft zum Film eindringlich davon, welch ein Trauma für die traditionsbewussten Züchter die Vernichtung einer Herde schon unter normalen Umständen darstellt.
Gummi und Kiddi leben ganz allein mit ihren Herden und erleben dieses Trauma gewissermaßen in gesteigerter Form. Freunde macht man sich also durch eine solche Anzeige gewiss nicht, zumal die zuständigen Behörden kompromisslos und professionell agieren. Kurzzeitig regt sich unter den verzweifelten Züchtern so etwas wie Widerstand, doch dann fügt man sich ins Schicksal. Alle – bis auf Kiddi und Gummi. Kiddi geht erst wütend mit der Flinte auf den Bruder los, ergibt sich dann dem Alkohol und wird vom Gummi mit dem Schaufelbagger vor dem Hospital abgeladen. Überhaupt scheint allein Gummi sich stoisch mit den Gegebenheiten abzufinden, doch das täuscht. Erst in dieser Notsituation werden die beiden Brüder über ihre Schatten springen und ohne viele Worte tun, was eben zu tun ist. Dass sie dabei ihre Kräfte überschätzen, führt zu einem eindrucksvollen Schlussbild, das die Uhr vielleicht noch einmal auf Anfang zurückstellt. Vielleicht.
Dass der erstaunlich unspektakuläre, aber mit viel Sinn für Details (Kamera: Sturla Brandth Grøvlen („Victoria“)) gearbeitete „Sture Böcke“ in Cannes 2015 den Hauptpreis der Reihe „Un Certain Regard“ gewonnen hat, mag dem Film vielleicht etwas zu viel Gewicht verleihen, aber die Souveränität, mit der der Film sich zwischen diversen Genre-Spurenelementen mit einer sehr eigenen Mischung von Dokumentarischem mit Poetischem bewegt, fordert schon Respekt ab. Ein eigensinniger Film über Viehzucht und Eigensinn.