Die Nürnberger Prozesse markieren den ersten Schritt in der Aufarbeitung der Nazivergangenheit. Hier wurden nicht nur Hauptverantwortliche der Hitler-Diktatur wie Hermann Göring und Joachim von Ribbentrop nach rechtstaatlichen Prinzipien verurteilt. Ebenso wichtig waren die zwölf Nachfolgeverfahren gegen Industrielle, Ärzte, Juristen und hochrangige Militärs, die den Mechanismus des Massenmordens in Gang hielten. In einem dieser Verfahren, dem sogenannten „Einsatzgruppen-Prozess“ von 1947/48, wurde auch ein gewisser Paul Blobel angeklagt. Der SS-Offizier verantwortete unter anderem jenes Massaker von Babyn Jar, bei dem innerhalb von zwei Tagen 33.000 Juden massakriert wurden.
Von den heute kaum noch vorstellbaren Problemen, vor die sich die Justiz seinerzeit gestellt sah, erzählt Ullabrit Horns Porträt über Benjamin Ferencz, der in diesem Verfahren als Chefankläger fungierte. Ihr Dokumentarfilm schildert nicht nur die bewegende Lebensgeschichte des aus Rumänien stammenden Juden. Er verdeutlicht auch, warum dieser unscheinbar wirkende Jurist „den Unterschied“ ausmacht, auf den der Filmtitel verweist. Vor der Kamera entwickelt der kleinwüchsige Mann, der für die Justiz Großartiges leistete, eine unglaubliche Präsenz. Lebhaft und mit spürbarer Leidenschaft erzählt der heute 95-Jährige, wie seine Eltern nach New York immigrierten, wo er in ärmlichen Verhältnissen aufwuchs. In „Hells Kitchen“, einem sozialen Brennpunkt, wo Gangs unterschiedlicher Ethnien sich blutige Revierkämpfe lieferten, geriet er immer wieder zwischen die Fronten, aber nie auf die schiefe Bahn. Wenn dieser bescheidene Mensch heute davon erzählt, wie er damals völlig unerwartet ein Stipendium erhielt – und daraufhin sein Jura-Examen mit Auszeichnung bestand –, dann kommen ihm immer noch die Tränen. Ein starker Moment in diesem Film, der vor Augen führt, wie ein Mensch auch am Ende seines Lebens noch dankbar ist für das, was ihm am Anfang geschenkt wurde.
Aufgrund seines Talents kommandierte man den damals 27-Jährigen US-Soldaten schließlich dazu ab, Beweismaterial für Kriegsverbrechen der Deutschen zu sammeln. Hier schlägt der Film das eigentliche Kapitel auf: Was genau heißt eigentlich Kriegsverbrechen? Man kennt diesen Begriff, der schon gegen Ende des 19. Jahrhunderts in die Genfer Konventionen aufgenommen wurde, aber nach wie vor nicht scharf umrissen war. Ferencz studierte stapelweise Leitzordner aus dem Gestapo-Archiv. Die Zahl der protokollierten Morde wurde immer größer, irgendwann hörte er zu zählen auf.
Die lebendigen Schilderungen dieses Zeitzeugen, der sogar eigenhändig Leichen ausgrub, sind nicht nur emotional mitreißend. Seine faszinierende geistige Beweglichkeit vergegenwärtigt die eigentliche Bedeutung der Nürnberger Prozesse. Vor den Schranken dieses Gerichts verteidigten Nazis sich nämlich nach rechtsstaatlichen Prinzipien, die ihnen ein unerwartetes Schlupfloch boten: Blobel – und vor allem Ferencz’ Hauptangeklagter Otto Ohlendorf – argumentierten, sie hätten unschuldige Zivilisten im Glauben erschossen, dass sie damit einen souveränen Staat, das deutsche Reich, beschützten. „Putativnotwehr“ nennen das Juristen.
Man spürt, dass das unhaltbar ist. Aber spüren allein reicht nicht, denn es gibt kein „gefühltes Recht“. Jedes Hollywood-Justizdrama verdeutlicht, dass Gerechtigkeit eine Sache der peniblen Formulierung ist. Erst dank einer vehementen Anstrengung des Begriffs, die der Film lebhaft vor Augen führt, ist die Aburteilung von Nazi-Gräueltätern kein willkürlicher Racheakt mehr, sondern ein konkreter Tatbestand. Der Film führt vor Augen, wie schwierig es war (und ist), „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ als rechtsstaatlichen Grundsatz in einem Bereich anzuwenden, der über die einzelstaatliche Verantwortlichkeit hinaus reicht.
In diesem Sinne erinnert der Film auch an die Verhandlungen über das Wiedergutmachungsabkommen von 1952, das sogenannte „Luxemburger Abkommen“, an dem Ferencz ebenso maßgeblich beteiligt war. Vor der Kamera erklärt der passionierte Jurist die damaligen Schwierigkeiten. Die neu gegründete Bundesrepublik fühlte sich damals nicht als Rechtsnachfolger des NS-Regimes – also wozu Entschädigungen? Auf der anderen Seite gab es den Staat Israel noch nicht – es gab also noch keine Instanz, die konkrete Rechtsansprüche gegen den NS-Völkermord hätte stellen können. Dass man trotzdem rechtlich verbindliche Verhandlungen zur Entschädigung für nationalsozialistisches Unrecht führen konnte, ist unter anderem Ferencz’ Verdienst.
Dank dieses überaus beeindruckenden Protagonisten kommt der Film mit wenigen Archivfilmen und Fotos aus, die das ohnehin unvorstellbare Leiden der Menschen in den Konzentrationslagern bebildern. Von jedem Motiv zeigt die Regisseurin zunächst nur einen kleinen, kreisrunden Ausschnitt, in dem das ausgemergelte Gesicht eines KZ-Häftlings zu sehen ist. Erst nach und nach vergrößert sich dieser Kreis und gibt den Blick frei auf Leichen, die „wie Holzscheite gestapelt“ sind. Dieser behutsame Umgang mit authentischen Motiven fügt sich gut ein in einen Film, der den Zuschauer nicht mit Gräuelbildern schocken will, sondern die Anstrengung des Begriffs unterstützt.
In einem beeindruckenden Bogen von den Völkermorden in Ruanda und Bosnien bis hin zur Gründung des Internationalen Strafgerichtshofs verdeutlicht der Film, dass Ferencz ein Wegbereiter des heute angewandten Völkerrechts ist. Dabei wird Historie auf eine selten gesehene Weise lebendig.