Schon der programmatische Titel „It Follows“ lässt andere Zeiten des Horrorgenres anklingen. „Someone’s watching me!“ hieß ein 1978 entstandener Fernsehfilm von John Carpenter, dessen Ur-Slasher „Halloween“, früher im selben Jahr entstanden, ebenfalls einigen Einfluss auf „It Follows“ hatte, und fasste damit sein Szenario in drei Worten zusammen, die in einem Ausrufezeichen kulminierten, um die Dringlichkeit, die Bedrohung, die diesem Beobachtet-Werden innewohnt, zu unterstreichen.
Was nun genau es mit diesem „Es“ auf sich hat, das die Verfolgung der jugendlichen Protagonistin Jay (Maika Monroe) und einiger ihrer gleichaltrigen Freunde aufnimmt, erfahren wir nicht. „Es“ bleibt unerklärlich, wird nicht psychologisch ausgedeutet, hat weder Ursprung noch Motivation. Alles, was Jay, und mit ihr die Zuschauenden, darüber erfahren, ist, dass es verschiedene Gestalten annehmen kann, die bekannter Personen oder die Fremder, und dass es nicht aufhört, hinter einem her zu sein, langsam gehend, aber scheinbar unaufhaltbar. Außerdem – und das ist ganz wichtig – scheint es sexuell übertragbar zu sein. Jays Freund Hugh (Jake Weary) hat es, so erklärt er ihr, an sie beim Sex weitergegeben und klärt sie nun über die Risiken dieses Verfolgers auf, empfiehlt ihr, es an jemand anderen weiter zu geben.
Die Sexualitätsfeindlichkeit der alten Slasher-Filme, denen Regisseur und Drehbuchautor David Robert Mitchell deutlich Referenz zollt und deren Killer vornehmlich Jugendliche heimsuchten, die sich ausgiebig Alkohol, Gras und vorehelichem Sex hingaben, wird durch das Böse als sexuell übertragbare Krankheit, das auch von Ferne her an die Parasiten in David Cronenbergs „Shivers“ (1975) erinnert, zunächst auf die Spitze getrieben. Um die so bigotten wie heuchlerischen Moralvorstellungen vieler Slasher geht es „It Follows“ aber gerade nicht. Vielmehr gibt diese Idee die Möglichkeit, die Bedrohung tief in das Geflecht des Begehrens der Peer-Group einzuschreiben. Jay gibt den Verfolger weiter an einen Jungen aus der Nachbarschaft, den sie für tough genug hält, mit ihm umzugehen, was sich allerdings als Trugschluss herausstellen wird. Erst gegen Ende schläft sie mit Paul (Keir Glichrist), einem guten Freund von ihr und ihrer Schwester Kelly, der – nicht allzu heimlich – in sie verliebt ist. In einer Szene sitzen Jay und Paul gemeinsam nachts auf dem Sofa und sprechen über ihren gemeinsamen ersten Kuss und eine Kindheitsepisode, die einen Stapel Pornohefte beinhaltete.
Anstatt sie grob abzuurteilen oder zum Kanonenfutter für das Böse verkommen zu lassen, nimmt David Robert Mitchell seine jugendlichen ProtagonisInnen mit ihren Sorgen und Problemen bedingungslos ernst. Dazu kommt, dass Mitchell es in seinem zweiten Film versteht, die alltäglichen Orte von Suburbia, die Häuser mit ihren Vorgärten, die Swimming Pools, Spielplätze und Schulkorridore mit Unheimlichem aufzuladen, das Vertraute fremd und bedrohlich werden zu lassen, wie es einst Carpenter oder Wes Craven in „A Nightmare on Elm Street“ (1984) gelang.
Gedreht wurde der Film in Detroit, wo Mitchell geboren wurde und aufgewachsen ist, und ein Dialog verortet sein Geschehen auch hier. Die Jugendlichen erinnern sich, dass es in ihrer Kindheit für sie verboten war, die 8 Mile Road zu überqueren, die die nördlichen Suburbs von der Stadt trennt, und die fleißigen Filmguckern auch durch Curtis Hansons Rapper-Drama „8 Mile“ (2002) mit Eminem in der Hauptrolle ein Begriff sein könnte. Durch die gespenstische Landschaft des benachbarten Ghettos mit seinen graffitibesprühten Industriehallen, seinen Brachen und zugemauerten Fenstern fahren die Kids mehrmals mit dem Auto. Diese Geisterstadt, dieser Geist einer Stadt, legt sich wie ein dunkler Schatten über den typischen american way of life der Vorstädte, verdeutlicht das Prekäre der eigenen Lebensverhältnisse, die allenthalben vom Zerfall bedroht scheinen. Nur eine Straße trennt „uns“ von den anderen, das eigene Umfeld von der Gefahrenzone, auch wenn das, so wie „It Follows“ seine Schauplätze in Szene setzt, nur bedeutet: eine Form der städtischen Einöde von einer anderen.
Zum Zerfall des Sozialen, von dem der Film erzählt, gehört auch die sonderbare Abwesenheit von Erwachsenen in seiner Teenager-Welt. Die Eltern werden zwar immer wieder in Dialogen erwähnt, ohne aber jemals selbst in Erscheinung zu treten. Auf sich alleine gestellt in einer mehr und mehr bedrohlichen Umwelt, müssen die Adoleszenten lernen, sich selbst zu verteidigen, eigene Entscheidungen zu treffen, was hier vor allem bedeutet, verantwortlich mit der eigenen Sexualität umzugehen.
Durch seine Ausstattung kreiert der Film zudem eine sonderbare Nicht-Zeit, in der sich Vergangenes und Gegenwärtiges vermengen. Ein Handy im Prolog wird das einzige des Films bleiben und verweist ebenso wie ein ziemlich eigenwilliger E-Book-Reader, der aussieht wie ein muschelförmiger Taschenspiegel, auf die Gegenwart. Darüberhinaus scheint der Film vollgestopft mit allerlei obsoleten Technologien. In den Wohnzimmern laufen, wie in „Halloween“, auf alten Röhrenfensehern noch ältere, schwarzweiße Monsterfilme. In einer wunderbar gefilmten Schwimmbadszene gegen Ende versuchen die Jugendlichen, den Verfolger zu töten, indem sie etwa elektrische Schreibmaschinen ins Becken werfen, in dem Jay als Köder schwimmt. Die Figuren des Films sind nicht nur ziemlich verloren in den ins Unheimliche gewendeten Suburbs, sie scheinen auch lost in time zu sein.
Einerseits schafft es „It Follows“, dem Horrorfilm, der immer mal wieder droht, in der Schwemme aus ewigen Sequels und Remakes zu ertrinken, wichtige neue Impulse abzugewinnen, indem er einen sehr eigenen Zugriff auf die Vergangenheit, auf die Geschichte des Genres findet. Mitchell versteht es, über den gekonnten Einsatz einiger jump scares weit hinaus, eine Atmosphäre latenten Grauens und ständiger Bedrohung zu schaffen. Andererseits aber gelingt es dem Nachwuchsfilmemacher auch, das Genre für seine eigenen Zwecke zu nutzen, im Gewand eines Horrorfilms eine sehr persönliche Geschichte über das Erwachsenwerden in einer zerfallenden (urbanen) Welt zu erzählen.