„Die Freiheit muss man sich nehmen. Tschüss!“, sprach er, stand mitten im Interview auf und ging, den schwarzen, leeren Sessel allein im Bild zurücklassend. Nur eine kurze Szene in Andrea Roggons Film „Mülheim – Texas: Helge Schneider hier und dort“, die belegt, dass es ein schwieriges Unterfangen ist, einen Dokumentarfilm über Helge Schneider zu drehen. Unübersichtlich ist das Schaffen des Jazz-Musikers, Komikers, Kabarettisten, Filmemachers, Theaterregisseurs, Entertainers und Autors Helge Schneider. Fünf lange, nun ja, Spielfilme hat er seit 1993 vorgelegt, unzählige Bücher geschrieben und Platten aufgenommen, in diversen Bands gespielt und immer noch geht er regelmäßig auf Tour. Obwohl schon seit den Siebzigern aktiv, entwickelt sich erst in den Neunzigern ein recht rätselhafter Hype um Schneider, der seine sehr eigene Mischung aus Klamauk, abstrusem Humor und Jazz-Klängen in den Mainstream holte, wo er sich jedoch nie ganz heimisch fühlte.
Es ist Regisseurin Andrea Roggon hoch anzurechnen, dass sie gar nicht erst versucht, dieses ausufernde Werk zu erschließen. Archivmaterial gibt es in ihrem Film eher wenig. Eine der Ausnahmen sind einige Szenen aus Werner Nekes‘ „Johnny Flash“, in dem Schneider 1986 seine erste Hauptrolle spielte. Nekes habe ihm eingebläut, erinnert sich Schneider, bloß nicht in Gelächter auszubrechen, weil das die Einstellung ruinieren würde und das Filmmaterial teuer sei. In Schneiders eigenen Filmen, allen voran seinem Debüt „Texas – Doc Snyder hält die Welt in Atem“, nimmt sich Schneider auch die Freiheit, ordentlich verlachte Takes einfach in den fertigen Film zu integrieren. Und eine der schönsten Szenen von „Mülheim – Texas“ zeigt die Gesichter herzlich lachender Menschen bei einem Auftritt des Komikers.
Roggon beobachtet Schneider im Studio, auf der Bühne, beim Malen und bei den Dreharbeiten zu seinem letzten Film „00 Schneider – Im Wendekreis der Eidechse“. Unter den Konzertszenen fand ich die besonders toll, in denen Schneider am Klavier die wunderbare Beatbox-Musikerin Butterscotch begleitet, die auch einen kurzen Auftritt in seinem letzten Film hatte. Es offenbart sich hier, wie anschlussfähig für neue Einflüsse das System Helge Schneider ist, ohne dass es dadurch jemals seinen ganz eigenen Stil verleugnen würde. Bei Proben offenbart Schneider, der, zumindest was sein filmisches Schaffen anbelangt, eher als genialer Dilettant bekannt ist, seine perfektionistische Seite.
„Unterwegs“ lautet einer der Zwischentitel, die den Film gliedern und tatsächlich zieht es sich leitmotivisch durch den Film, dass Helge on the road zu sehen ist. Im Auto auf den Straßen Mülheims. Auf dem Motorrad mit Beiwagen in einer Wüstenlandschaft irgendwo am Mittelmeer. Auf dem Traktor, mit dem er bei dem Versuch, einen Wohnwagen zu ziehen, einen zirkusreifen Stunt hinlegt. Mit dem Paddelboot auf der Ruhr. Die Rastlosigkeit, die einen Mann, der so viel arbeitet wie Schneider, wohl zwangsläufig auszeichnet, kommt dabei schön zum Ausdruck und wird zugleich von der Ruhe, der Gelassenheit kontrastiert, die den Komiker bei all seinem fleißigen Tun auszeichnet.
Roggon filmt das mit viel Stilwillen, was schon in dem für einen Dokumentarfilm recht unüblichen 2,35:1-Breitbildformat zum Ausdruck kommt. Es wiederholen sich Einstellungen, in denen Schneiders bärtiges Gesicht groß am Bildrand zu sehen ist, die Weite des Meeres oder der Landschaft im Hintergrund. Wie aus einem Western wirkt das und eine Western-Parodie (zugegeben, eine etwas hilflose Beschreibung für den Irrsinn dieses Films) war ja auch Schneiders erster Film, auf den Roggon mit ihrem Titel anspielt.
Seine Geheimnisse möchte er nicht preisgeben, sagt Schneider einmal. Man solle nicht über ihn wissen, wie er etwa einkaufen geht. Neben viel charmant blödelnder Selbstinszenierung kriegen wir in den Gesprächen immer wieder schöne biographische Fetzen geliefert. Schneider erzählt, wie er mit fünfzehn in der Schule wegen seiner roten Haare zum Außenseiter wurde und sich ganz in diese Rolle begab, indem er im grünen Anzug auf der Straße Gitarre spielte. Mit achtzehn, so berichtet er, war er von der Sehnsucht erfüllt, aus Mülheim fortzugehen, um in New York als Jazz-Musiker zu arbeiten.
Man merkt Schneider immer wieder an, wie sehr er es genießt, sich für die Kamera in Szene zu setzen. Am deutlichsten wohl bei einem Fototermin, bei dem er sich in einer Karussell-Rakete sitzend am Blitzlichtgewitter regelrecht labt.
Schwer zu sagen, was für einen Film Roggon mit ihren Ambitionen gemacht hätte, wenn sie ein einfacheres, den Verlauf der Inszenierung weniger in jeder Situation genau kontrollierendes Gegenüber vor ihrer Kamera gehabt hätte. Die Art aber, wie Schneider den Film mit seinem Humor und seiner immensen Ausstrahlung dominiert, ihn sich ganz und gar aneignet, tut dem Vergnügen, das „Mülheim – Texas“ dem Zusehenden bereitet, keinen Abbruch. Im Gegenteil.