„Gedränge nur dem Dieb gefällt, drum Augen auf und Hand aufs Geld.“ Mit diesem Reim warnte die Berliner Polizei einst vor Dieben in der U-Bahn. Und „Focus“, ein Film über Diebe und ihre groß angelegten Betrügereien, lässt es sich im Gedränge, in der Menschenmenge so richtig gut gehen, fühlt sich hier sichtlich pudelwohl. Die Hand am Geld respektive der Uhr oder den Klunkern haben hier nur Nicky (Will Smith) und seine Bande. Unter vorgehaltenem Stadtplan oder die Augen und Ohren ablenkendem Tohuwabohu entwenden sie den Menschen in der Masse allerlei Wertgegenstände. In einem besonders imposanten Clou wird die Kreditkarte aus einer Tasche gezogen, mit dem mitgebrachten Scanner die Daten aus ihr gelesen und sie dann wieder dahin befördert, wo sie herkam. Die Art, wie die Kamera sich dazu verhält, im Gedränge den Überblick über die blitzschnell zugreifenden Hände und mit allerlei Ablenkungsmanövern beschäftigten Körper behält, zeigt eindeutig: Dieser Film verschreibt sich mit Leib und Seele dem Geschäft seiner Hauptfiguren. Dazu passt gut, dass die Diebe und con artists in dieser Gaunerkomödie keinerlei Gegenspieler auf der anderen Seite des Gesetzes haben. Die Gesetzeshüter, die sich ihnen in den Weg stellen könnten, scheinen diese Profis längst abgehängt zu haben. Gefährlich werden können sie sich nur noch untereinander.
Der Film ist in zwei Teile unterteilt. Der erste spielt zunächst in New York, wo Nachwuchsdiebin Jess (Margot Robbie) Nicky aufsucht, um bei ihm, Profibetrüger in langer Familientradition, in die Lehre zu gehen. Von hier aus folgt sie ihm nach New Orleans, wo das alkoholbefeuerte Spektakel rund um den Super Bowl, also das Finale der Football-Saison, beste Voraussetzungen für einen ausgiebigen Beutezug bietet. Beim Finale werden die ergaunerten 1.2 Millionen Dollar dann beim Wetten mit einem offenbar ultrareichen Sitznachbarn beinahe verspielt. Aber eben nur beinahe. Denn hier stellt sich noch der Kontrollverlust vermeintlicher Spielsucht als Teil einer raffinierten Inszenierung heraus, die ihr Ziel, aus eins zwei zu machen, letztlich nicht verfehlt. Man könnte „Focus“ die Art, wie Nicky (und der Film) hier Jess (und den Zuschauer) hinters Licht führen, schon übel nehmen. Wäre da nicht in dieser ersten Hälfte der offensichtliche Spaß an der Gaunerei, mit dem Film und Figuren zur Sache gehen. Dabei ist Margot Robbie und der geradezu kindliche Eifer, mit dem sie alle Tricks des Meisters lernt, noch um einiges toller als Will Smith, der den Bad Boy hier vielleicht einen Tick zu abgeklärt, ein bisschen zu sehr im Wissen um das eigene Charisma gibt. Ein tolles Film-Paar sind die beiden dennoch – und sollen es doch zunächst nicht werden. Denn nach getaner Arbeit setzt Nicky die Frau, die er vorher so bereitwillig unter seine Fittiche und in sein Bett nahm, kurzangebunden und ihrem deutlichen Widerwillen zum Trotz ins Taxi zum Flughafen. Job erledigt. Für Liebe ist in diesem Geschäft und dem Leben, das es mit sich bringt kein Platz.
Die zweite Hälfte dann, die in Buenos Aires und drei Jahre später spielt, spiegelt die erste darin, dass sie auf einen Höhepunkt zuläuft, auf dem sich alles, was bisher geschah, als Teil einer ausgeklügelten Inszenierung erweist. Zunächst scheint es also, als würde die beiden, die sich nur vermeintlich zufällig am anderen Ende der Welt wieder treffen, die Liebe doch noch einholen. Sie knabbert augenscheinlich noch an der Verletzung darüber, dass er sie einst so eiskalt abservierte. Bei ihm scheint sich Reue mit der narzisstischen Kränkung darüber zu vermengen, dass sie bei seiner Ankunft nicht sofort alles stehen und liegen lässt – insbesondere ihren neuen Mann -, um sich wieder in seine Arme zu stürzen. Die zweite ist die lichte Hälfte des Films. Reflektierte Smith‘ Gesicht an einer intimen Stelle in der ersten Hälfte die rot flackernden Lichter durchs Fenster blinkender Leuchtreklamen, dürfen die beiden sich, als sie schließlich doch wieder im Bett landen, nun im durch die Balkontür fallenden Sonnenlicht baden. Das konträre, weil nunmehr sonnige Close-Up von Smith‘ Gesicht inklusive.
Aber natürlich ist der Film zu sehr auf Cleverness und Raffinesse bedacht, um seinen beiden Protagonisten zu einfach Betrug, Geschäftemacherei und Verletzungen den Rücken kehren zu lassen, um es sich auf der Sonnenseite bequem zu machen. Begehren, Eifersucht und das Verlangen nach Nähe und Aufmerksamkeit werden sich zunächst als berechenbare Größen in einem von allen Seiten abgekarteten Spiel herausstellen. Natürlich nur, damit die Zwei in einer immerhin ordentlich weirden, äußerst gebrechlichen letzten Einstellung doch noch zueinander finden können.
Nicht nur in seinem eigentlich dem Film eher nachgelagerten Happy End findet „Focus“ auch Anschluss an einen anderen Film der laufenden Saison: „The Gambler“. Für die männlichen Antihelden im Hollywood von heute ist das Glück nichts mehr, wofür man hart arbeitet oder was man fleißig erstrebt – es wird am Spieltisch gewonnen oder sich anderweitig ergaunert. Die Liebe wird zu einer kleinen Utopie von einem anderen Leben, zur Möglichkeit vielleicht auf ein richtiges Leben im falschen. (Allerdings fällt mit David Finchers „Gone Girl“ auch gleich ein Hollywood-Film aus der unmittelbaren Vergangenheit ein, der eine Gegenerzählung liefert, in der sich das weiße, heterosexuelle Mittelschicht-Liebesglück zur Hölle auf Erden entwickelt.)