Die Künstlerin Ela (Defne Halman) und der Architekt Can (Hakan Çimenser), ein Ehepaar um die fünfzig, leben zusammen im vornehmen Istanbuler Stadtteil Nişantaşı. Ihr modernes mehrstöckiges Wohnhaus, geschmackvoll eingerichtet mit Designermöbeln, gleicht einem transparenten Versteck. Große Fenster und offene Räume schaffen Durchlässigkeit und gewähren Einblicke. Indem sie die Intimität aufheben, stellen sie das Eheleben förmlich aus. Dieses ist andererseits verborgen, reduziert und in relativer Gleichgültigkeit erstarrt. Dafür steht die Unterteilung des „gestapelten“ Raums in mehr oder weniger isolierte Wohn- und Funktionseinheiten, die lediglich oder bezeichnenderweise durch eine Wendeltreppe miteinander verbunden sind. Schritte und Geräusche, Bewegungen von Schatten, oben und unten werden durch sie vermittelt. Trennung bei gleichzeitiger Nähe, Isolation trotz Transparenz sowie gewohnheitsmäßiges wechselseitiges Belauern bilden die Koordinaten dieses erstarrten Ehelebens.
In präzisen Bildkompositionen, entsättigten Farben und einem unterkühlten Tonfall inszeniert die türkische, zeitweise in Berlin lebende Filmemacherin Aslı Özge („Men on the bridge“) in ihrem Film „Lifelong“ die zunehmende Entfremdung von Ehepartner, die in ihrer Beziehung und in ihrem Leben feststecken. Der Status quo ihres Wohlstands, gesichert durch ihren beruflichen Erfolg, verengt ihren Blick auf mögliche Veränderungen, ja lässt diese sogar als Bedrohung erscheinen. Als sehr reales und gegenwärtiges Spiegelbild dieser Unsicherheit und Angst thematisiert Özge die Folgen eines Erdbebens, deren psychische Wirkungen vor allem Can nachhaltig erschüttern und angesichts der Vergänglichkeit sein Gefühlsleben verändern. Als er Elas neue Ausstellung besucht, verliert er sich deshalb förmlich im Farbnebel eines von der Lichtkünstlerin Ann Veronica Janssens inspierten Werkes („Blue, Red, and Yellow“). Orientierungslosigkeit und Kontrollverlust sind die unmittelbaren Folgen.
Den größten Teil ihres ebenso schnörkellosen wie vielschichtigen Beziehungsdramas, das um Einsamkeit und Leere kreist, widmet Aslı Özge allerdings ihrer Protagonistin, die als Künstlerin zwar anerkannt, aber finanziell dennoch von ihrem Mann abhängig ist. Ein riesiger Stein – Reminiszenz an Ayşe Erkmens „Stoned“ -, den Ela für eine Installation über einem Glasdach anbringen lässt, symbolisiert diese Ambivalenz und Zerbrechlichkeit. Während das Paar in Schweigen nebeneinanderher lebt, bemerkt Ela mit zunehmender Gewissheit, dass Can offensichtlich fremdgeht. Doch wird auch dieser Konflikt nicht verbalisiert; vielmehr verlagert er sich nach innen und verursacht bei Ela eine psychosomatische Störung. Diese wird noch verschärft durch ihren Blick auf den eigenen alternden Körper und ihr gleichzeitiges Bedürfnis nach körperlicher Nähe. Einmal sieht man Ela auf einer Aussichtsplattform barfuß im Schnee. Die Ambivalenz der Sehnsucht geht weiter. Der Widerspruch bleibt.