Wir sind jung. Wir sind stark.

(D 2014; Regie: Burhan Qurbani)

Brennende Langeweile

„Honky-Tonky-Show
Und abends läuft die Honky-Tonky-Show
Die Mutter guckt alleine Krimi oder Quiz
Und die Tochter ist da, wo die Action ist.“

– Udo Lindenberg, 1974 –

Das Foto von dem Mann im Fussballtrikot mit dem glasigen Blick und dem viel sagenden Fleck auf der Jogginghose, der den Arm zum Hitlergruß erhoben hat, dieses Foto habe ich vermisst bei den Feiern zum 25. Jahrestag des Mauerfalls. Das Foto steht für „Rostock-Lichtenhagen“, für die eigenartige Mischung aus Volksfest und Pogrom im Sommer 1992, als klar wurde, dass der Anschluss der DDR nicht als immerwährende Party zu haben sein würde. „Rostock-Lichtenhagen“ steht wiederum für Mölln, Solingen, Hoyerswerda – und die Verschärfung des Asylrechts. Aktuell scheint man sich in der Kritik darauf geeinigt zu haben, dass „Wir sing jung. Wir sind stark.“ von Burhan Qurbani („Shadada“) gerade zum „richtigen Zeitpunkt“ ins Kino kommt, weil Fremdenhass und Islamophobie gerade wieder en vogue zu sein scheinen.

Tatsächlich reiht sich der Film zunächst einmal ein in die Tradition des deutschen Films, sich seine Themen – gerne bestens recherchiert – in der Geschichte zu suchen. Dann sitzt man im Kino und lernt etwas über die Vor-Geschichte der RAF, über die Vor-Geschichte des Auschwitz-Prozesses oder über die politisch motivierten Fehler der Ermittlungsarbeit nach dem Anschlag auf das Oktoberfest. Und bezieht das Gelernte dann irgendwie auf die aktuelle Gegenwart. Geschichtsunterricht, beflissen. Ist Qurbanis Film anders? Etwa Gegenwartskunde? Weil er doch zur „richtigen Zeit“ kommt?

Natürlich hat „Wir sind jung. Wir sind stark.“ konkret wenig bis nichts mit der Pegida zu tun, schon aus Gründen der Produktionsumstände eines Films. Und es gibt auch bereits eine hoch interessante Film-Dokumentation über die damaligen Ereignisse: „The Truth Lies In Rostock“. Qurbani hat das Mittel des semi-dokumentarischen Spielfilms gewählt, weil er nach eigenen Worten, nicht die Ereignisse der Nacht vom 24. auf den 25. August 1992 rekonstruieren wollte, sondern weil mit den Mitteln der Fiktion etwas über das Gefühl des „Nichtwillkommenseins“ erzählen wollte, über die „Infragestellung von Heimat“. Dazu weitet er den Blick auf eine jugendliche Clique, ein paar vietnamesische Vertragsarbeiter und ein paar überforderte, lavierende Politiker. Dass das Ziel der Ausschreitungen zunächst die Anwesenheit von Roma-Flüchtlingen war, zeigt der Film zwar, gibt dieser Opfergruppe aber im Film selbst keine Stimme. Im Presseheft erklärt Qurbani: „Mein Film möchte erinnern. Nicht anklagen, nicht denunzieren, sondern dieses Ereignis, welches eine der größten zivilen Katastrophen der deutschen Nachkriegszeit war, vor dem Vergessen schützen. (…) Hier gibt es keine Helden. Es geht um das sittliche und ideelle Vakuum einer Post-Wende-Gesellschaft, die sich langsam mit Wut gefüllt hat und dann in einer lauen Sommernacht gegen die Wand gefahren ist.“

Qurbani wählt dazu das Gesellschaftspanorama in naturalistischer Manier, wo jede Figur für eine bestimmte Haltung steht und sämtliche Haltungen zusammen eine These ergeben. So versucht der Film, einen anderen, ergänzenden, vielleicht sogar differenzierenden Blick auf die Ereignisse zu werfen, indem er ein paar jugendliche Täter in den Blick nimmt, die mit rechter Gesinnung kokettieren, aber eben (noch) keine Nazis sind. Deren Radikalisierung erfolgt gewissermaßen aus Orientierungslosigkeit, die mit Langeweile gepaart ist. Dabei bedient man sich je nach Situation bei frei flottierenden Ideologemen: hinter dem Rechtsrock ist immer noch die „Internationale“ abrufbar. Oder auch „Live Is Life“!

Die jungen Schauspieler bekommen dabei die Gelegenheit, die Indifferenz ihrer Figuren durch Bockigkeit, Sprücheklopferei und sehr körperliches Spiel zu zeigen, was im Falle von Robbie dazu führt, dass die Figur permanent unter Strom zu stehen und sich fast schon choreografiert durch den Film zu bewegen scheint. Durch Pubertät zum Verbrechen? Vor dem Werfen des ersten Mollies steht noch schnell der erste Sex – wie soll man da die Übersicht behalten? Wie im Falle von „Kriegerin“ zeigt sich ein Versuch, die Dynamik der Täter durch die Wahl der ästhetischen Mittel irgendwie „authentisch jugendlich“ zu gestalten. „Richtige“, ideologisch gefestigte Rechtsradikale bleiben allerdings Nebenfiguren.

Diese Tendenz der Entschärfung ins Allgemeinmenschliche wird dadurch verstärkt, dass der Film noch eine Genealogie von sehr deutschen Generationskonflikten aufmacht: Urgroßvater Faschist, Großvater Kommunist, Vater Demokrat, Sohn? Martin, der Vater des jugendlichen Protagonisten Stefan, ist ein von der Situation völlig überforderter und mit privaten Problemen beschäftigter Lokalpolitiker, der im Zweifelsfall lieber wegschaut als couragiert zu handeln. Die politische Klasse wird als so opportunistisch und kleinkariert dargestellt, dass es nicht wundert, dass sie den Jugendlichen keine Vorbilder sind.

So sammelt der Film lauter kleine Geschichten (die Vietnamesin, die sich für etwas Besseres hält als die Roma-Flüchtlinge vor der Aufnahmestelle), die fast schon zufällig und gewiss nicht politisch motiviert in den Progrom münden. Wenn die Brandschatzung schließlich beginnt, wird der bis dato schwarz-weiße Film farbig und setzt auf Scope-Format. „Plötzlich ist hier endlich mal „was“ los“, scheint dieser Kniff sagen zu wollen. Fragt sich, wer diesen Satz spricht? Immer mal wieder hat der Film bis dahin seine Bilder mit den bekannten historischen Bildern konfrontiert. Zum Finale zeigt der Film noch einmal erstaunliches handwerkliches Geschick in der Inszenierung von „Action“, hat aber gleichzeitig nichts Substantielles zu erzählen, was die damaligen Fernsehbilder übersteigt.

So bleibt letztlich fraglich, ob „Wir sind jung. Wir sind stark.“ die Ereignisse von 1992 überhaupt gebraucht hätte. Plattenbautristesse, gesellschaftliche Verunsicherung, schwache Väter, Probleme beim Erwachsenwerden, Langeweile und hilflose, von der Exekutive im Stich gelassene Opfer, die in letzter Sekunde gerettet werden – eigentlich alles Zutaten eines ganz und gar konventionellen Genrefilms übers Erwachsenwerden.

Hier gibt’s eine weitere Kritik zu ‚Wir sind jung. Wir sind stark.‘.

Benotung des Films :

Ulrich Kriest
Wir sind jung. Wir sind stark.
Deutschland 2014 - 123 min.
Regie: Burhan Qurbani - Drehbuch: Martin Behnke, Burhan Qurbani - Produktion: Leif Alexis, Burkhard Althoff, Frank Evers, Olaf Grunert, Michael Jungfleisch, Jochen Laube, Helge Neubronner, Sarah Neumann - Bildgestaltung: Yoshi Heimrath - Montage: Julia Karg - Verleih: Zorro Filmverleih - FSK: ab 12 Jahre - Besetzung: Devid Striesow, Jonas Nay, Trang Le Hong, Joel Basman, Saskia Rosendahl, Thorsten Merten, Paul Gäbler, David Schütter, Jakob Bieber, Swantje Kohlhof, Mai Duong Kieu, Aaron Le, Larissa Fuchs, Axel Pape, Katrin Kaspar
Kinostart (D): 22.01.2015

IMDB-Link: http://www.imdb.com/title/tt4076058/