Mysteriöse Exposition: vier nackte Frauen stolpern unsicher und ungelenk durchs Unterholz. Schnitt. Innen. Eine junge Frau mit Katzenmaske scheint nach getaner Arbeit erschöpft, nebenan schläft ein nackter Mann in kindlicher Stellung. In „Top Girl oder la déformation professionnelle“, dem zweiten Teil ihrer geplanten Trilogie über Frauen und Arbeit, nimmt Tatjana Turanskyj („Eine flexible Frau“) das große Ganze aktueller Geschlechterverhältnisse zwischen Abgründigem und Groteskem in den Blick.
Da ist die etwa 30jährige Schauspielerin Helena (die mit der Katzenmaske), die vor der Jahrtausendwende einmal ein TV-Serienstar gewesen ist („Die Mädchenpolizei“), jetzt aber eher erfolglos ist. Was auch damit zu tun haben kann, wie sich die Dinge allgemein entwickeln, denn wir werden Zeuge, wie Helena sich unmissverständlich verweigert, als sie bei einem Casting von zwei aufgekratzten Castingagentinnen aufgefordert wird, ein „notgeiles“ Prosecco-Luder zu spielen. Als alleinerziehende Mutter kann man sich solch eine Verweigerung nicht allzuoft leisten, deshalb verdient Helena seit Jahren unter dem nome de plume »Jacky« ihr Geld als Sexarbeiterin bei einem Escort-Service und einem Bordell. Als selbstständige Dienstleisterin – ohne Zuhälter. Wenn sie auf die Wünsche ihrer männlichen Kunden eingeht, ist der Job gar nicht so viel anders als die Schauspielerei: Man verbringt viel Zeit mit Warten und wenn es heißt: „Du machst, was ich sage!“, dann schlägt die Stunde der Kreativität.
Zum Glück sind die Männer in ihren Wünschen nicht sonderlich einfallsreich: »Jacky« hat zwar das komplette Repertoire von „A/O“ über Wasserspiele bis „BDSM“ im Angebot, aber zumindest im Film bleibt es bei recht harmlosen Rollenspielen und dem Wunsch: „ganz normal GV und danach noch still daneben liegen“. Turanskyj zeigt Helenas nur scheinbar selbstbestimmten Alltag in jeder Beziehung ziemlich unglamourös zwischen Hausarbeit und Sexarbeit. Anschließend werden in recht engem Zeittakt die Tochter betreut, Betten neu bezogen oder Sextoys gereinigt.
Die Ich-AG-Dienstleisterin »Jacky« scheint mindestens so erschöpft wie die Männer, die ihre Dienste nachfragen. Was darauf hinweisen könnte, dass es hier um mehr geht als um eine Kritik paternalistischer Strukturen, denen es ideologisch gelungen ist, sexuelle Dienstleistungen als „normalen Markt“ zu entwerfen und Sexualität zu ökonomisieren. Aber da ist auch noch Helenas Mutter, eine freiberufliche Musiklehrerin, die aus einer Position der klassischen Frauenbewegung der selbstgewählten Abhängigkeit ihrer Tochter skeptisch gegenübersteht. Zwischen Mutter und Tochter wird ein weiterer Konfliktraum etabliert zwischen Old-School-Feminismus und einem post-feministischen Individualismus, der aus freien Stücken zu den Bedingungen des Neoliberalismus agiert, der – wie die Filmemacherin angemerkt hat – Konsum als gesellschaftliche Teilhabe und Emanzipation verkauft. Dieser Konflikt wird vertieft durch den Vortrag einer souverän auftretenden Schönheitschirurgin, die körperliche Selbstoptimierung durch operative Eingriffe als konsequentes Zuende-Denken feministischer Emanzipationsutopien postuliert: „Ich bestimme mein Alter selbst!“
So fügt sich eins zum anderen und zu einem Bild, das seine Stimmigkeit nur ideologisch behauptet, weil der clever-diskursive Post-Feminismus das Spiel des (erschöpften) Patriarchats spielt. Kein Wunder, dass sich der Film als Kammerton A die Haltung bei der Musiklehrerin-Mutter abholt, die ihrem Schüler rät, sich mit einem „Ich habe genug“ locker zu machen. Lange arbeitet der Film an einem Gleichgewicht zwischen der kühlen und immer etwas müden Professionalität Helenas, zurückhaltend gespielt von Julia Hummer, und der raumgreifenden Exaltiertheit ihrer Mutter, gespielt von Susanne Bredehöft. Kurz vor Schluss scheint der Film dann selbst die Geduld verloren zu haben – er schlägt um in eine böse Satire, deren Deutlichkeit ärgerlich machen kann.
Als ein Freier, seines Zeichens Versicherungsvertreter (RP Kahl bewegt sich gewohnt „cool“ in diesem Setting), Helenas Kreativität für ein ganz besonderes Event abruft, ist sie schnell dabei und liefert gewissermaßen vier Kolleginnen ans Messer. Als Regisseurin einer drastischen Performance, die jetzt die Bilder der Exposition »einfängt«. Es ist schon fast ein surreales Szenario, wenn die Männer nach erfolgreicher Jagd ein einschlägiges Lied anstimmen: „Jäger aus Kurpfalz“ – eine etwas überkandidelte Comedy-Pointe. Da tröstet es dann auch nicht mehr richtig, wenn sich der Film die dialektische Pointe gönnt, Hummer/Helena zum Schluss als mondäne Wiedergängerin von Magdalena Montezuma in Ulrike Ottingers „Madame X – Die absolute Herrscherin“ zu inszenieren.