Die Hauptfigur Marc (Ben Schnetzer) in der englischen Komödie „Pride“ weiß wovon er redet, wenn er seinen Mitstreitern die Frage stellt: „Wer hasst die Arbeiter? Die Presse, die Öffentlichkeit, die Regierung. Kommt dir das bekannt vor?“: Der Londoner Polit-Aktivist ist nicht nur links, sondern auch schwul. Kein Tag vergeht, ohne dass er, seine Freunde und lesbischen Freundinnen von Rechtsradikalen verprügelt werden. Jetzt aber sieht die Lage so aus: Großbritanniens Bergarbeiter sind in den Streik getreten. Wir schreiben das Jahr 1984. Margaret Thatcher will die Gewerkschaften aus dem Politikbetrieb werfen und legt dafür ganze Wirtschaftsbranchen lahm. Damit es keine widerspenstige Arbeitnehmervertretung mehr gibt, wird eben die ganze Mine geschlossen. Eine kühne Idee, aber die Regierungschefin wird damit durchaus erfolgreich sein. Das Land wird mit diesem Ereignis die nächsten Jahrzehnte beschäftigt sein, auch weil der soziale Abstieg vieler Menschen voranschreitet. Nebenbei bemerkt: Parallel werden die Energieträger Atomkraft und Öl gefördert.
Marc, der in London ansässige junge Streiter für die Homorechte, erkennt die Parallelen zwischen der Welt der Arbeit und seiner eigenen: Der Wind weht allen hart ins Gesicht. In den achtziger Jahren ist die rechte Jugendkultur im Schatten von Punk-Rock und Skinhead-Kult stark geworden. Rechte Schläger machen regelrecht Jagd auf Homosexuelle.
Das Mitgefühl für die Arbeiterklasse hält sich aber bei Marcs Freunden stark in Grenzen. Schließlich kommen die homofeindlichen Angriffe oft genug aus den in traditionellen Denkmustern verharrenden Working-Class-Milieus. Marc aber will genau hier ansetzen: „Seitdem die Arbeiter streiken, gab‘s fast keine Benzinbomben und Hakenkreuzschmierereien“. So sieht England Mitte der achtziger Jahre aus: Wenn es andere gibt als Schwule, die derzeit die Jacke voll kriegen, dann sind es die Arbeiter, die in der Gewerkschaft des legendär streitbaren Bergarbeiterführers Arthur Scargill organisiert sind!
Und so entsteht die Initiative „Lesbians and Gays Support the Miners“ (LGSM). Es werden Spenden gesammelt, denn die Auswirkungen des Streiks auf die Familien sind drastisch. Es gibt kaum noch was zu essen, da ist jedes Pfund willkommen. Die Hilfe und die Besuche der bunten Truppe werden aber vorerst abgewiesen – durch Arbeiter wie Gewerkschaft gleichermaßen („Deine Schwulen sind da“). Man will mit den schmuddeligen Londoner Außenseitern nichts zu tun haben. Nicht nur – aber auch weil man die homosexuellen Aktivisten verdächtigt, stets nur ihre eigenen Interessen im Blick zu haben. Die vorgebliche Solidarität mit dem Streik diene ihnen im Kampf um mehr Anerkennung.
Viele versuchen, die LGSM-Unterstützung für ihre Zwecke zu nutzen, zuallererst die konservativen Kräfte: Als Streikposten möchte man sich von der Polizei nicht als „Schwuchtelfreund“ bezeichnen lassen. Dies wird nicht das einzige sexistisch konnotierte Kampfmittel bleiben. Auf Sympathie stößt die Gruppe aber bei den Frauen der Bergarbeiter. Sie kritisieren, dass es viele heroische Worte rund um den Arbeitskampf gibt, aber wenig konkrete Hilfsmaßnahmen. Und so ist das Geld aus London zunächst bei ihnen willkommen.
Die Geschichte von „Pride“ beruht auf einer wahren Begebenheit. Die LGSM sammelte für drei Bergarbeiter-Ortschaften Spenden – gegen alle Widerstände, auch in den eigenen Reihen. Später setzten sich Bergarbeiter-Gruppen für die Rechte der Homosexuellen ein. Die Spenden-Aktion gipfelte in einem großen Festival mit Bands wie Bronski Beat. Es brachte mehrere tausend Pfund ein. Die Geschichte erzählt viel über die achtziger Jahre: „Homosexuelle Künstler haben wir nicht unter Vertrag“, behauptet die Musikmanagerin einer Plattenfirma, an deren Wand das Konzertplakat von Elton John hängt.
„Pride“ ist hervorragend besetzt und spart nicht mit Witz und rührenden Szenen zwischen Alt und Jung, homo und hetero. Es ist ein Historienschinken, fast ein Kostümfilm. Was aber entscheidend ist: Mit Gewissheiten geht der Film äußerst kreativ um, selten ist etwas, wie es scheint. So outen sich auch in den Reihen der Bergarbeiter Homosexuelle, die nie offen darüber gesprochen haben. Zum Beispiel der alternde Arbeiter Cliff (Bill Nighy), der eine entscheidende Rolle in der Bergarbeitergemeinschaft spielt, outet sich während der Proteste. Aber auch der örtliche Streikführer Dai heißt nicht nur deshalb die Gruppe willkommen.
Schließlich klappt die Verbrüderung auf kultureller Ebene, denn auf der ersten gemeinsamen Party stellt sich ziemlich deutlich heraus, dass die Londoner sehr gute Tänzer sind. Das interessiert wiederum die ortsansässige heterosexuelle Bevölkerung, denn wer gut tanzt, kommt auch gut beim anderen Geschlecht an. An Männern, so die steile These des Films, lieben Frauen ihre vermeintliche Weiblichkeit. Außerdem sind sich die Arbeiter durchaus bewusst, dass das Leben im Dorf nicht immer die große Party ist.
Die Komödie „Pride“ präsentiert sich an dieser Stelle recht ernst. Aber eine glückliche Synthese der verschiedenen sozialen Interessen kommt selten vor. Die Prozesse der Annäherung („Kohle – das ist das Zeug, aus dem man den Strom macht, damit Schwule nachts um drei zu Bananarama tanzen können“) laufen stets nur parallel zum Status quo. Weiter werden Schwule auf den nächtlichen Straßen verdroschen, bis sie im Krankenhaus landen. Nur streikende Arbeiter trifft es nun noch härter. Als Gegenmittel empfiehlt der Film den Zuschauern die Solidarität über soziale Grenzen hinweg. „Pride“ wirkt wie ein filmischer Gegenentwurf zu Uli Edels „Last Exit Brooklyn“ (D/USA 1989), der von einem schwulen Gewerkschaftsfunktionär handelt und wie beinahe pflichtgemäß als Tragödie endet.
Was der Film mithin mehr hätte beleuchten können, ist die politisch-administrative Ebene. Warum und wieso ganz Großbritannien von den Konservativen ökonomisch und politisch umgestrickt wird, das bleibt zumeist im Dunkeln. Thatcher hört man dann und wann aus dem Fernsehen quaken, hin und wieder gibt’s Zeitungsschlagzeilen.
Welche Kräfte sind weltweit am Werk? Da wäre durchaus noch Potenzial vorhanden. Der Streik in den britischen Kohlegruben hat eine internationale Dimension. Die Öffentlichkeit vieler Länder verfolgt ihn. Den Paradigmenwechsel zum Neoliberalismus hat die Welt verstanden, nicht zuletzt an den Worten der eisernen Lady:„There is no such thing as society“, – eine Gesellschaft gibt es nicht -, für Margaret Thatcher gibt es nur Individuen.
„Pride“ möchte stattdessen die gesellschaftlichen Wendepunkte in seinen Figuren aufzeigen, in der Entwicklung der einzelnen Charaktere. Die Gewerkschaften mussten sich unter Druck gesellschaftlichen Strömungen öffnen, Minderheiten lernten den sozialen Kampf im Kollektiv. Wie sich hier relevante Berührungspunkte zu erkennen geben, davon erzählt der Film. Aber er erzählt auch davon, wie schwierig es ist, in einer zunehmend fragmentierten Gesellschaft Gemeinschaften herzustellen.
„Pride“ erzählt viel in den zwei Stunden und als Komödie hat er gut zu enden. Er lässt aber ahnen, dass es solche solidarischen Aktionen nicht allzu oft gibt und wohl auch nicht geben wird, denn Gegenwind weht immer, oft aus nicht vorhersehbarer Richtung: Die Schwulen der LGSM-Initiative werden bei der Gay-Parade im Jahr darauf ans Ende des Zuges verbannt. Erst als die Arbeiter aus Wales zur Unterstützung kommen und die Zugspitze übernehmen, werden sie von ihren unpolitischen Parade-Organisatoren ernst genommen. Ein kleines Happy-End einer leider sehr seltenen Geschichte.
Dieser Text ist zuerst erschienen in: Gegenblende