Das haben wir nun davon! War ja klar, dass das früher oder später passieren würde. Da lobpreist man seit 20 Jahren (oder noch länger) Filme von Dominik Graf wie „Die Sieger“, „Der Skorpion“, „Im Angesicht des Verbrechens“ oder auch „Das unsichtbare Mädchen“ ob ihrer Genre-Qualitäten, ihrer handwerklichen Qualität, ihres Formbewusstseins und des Gespürs für leicht sentimental unterfütterte Männer-Gruppen-Studien und wird nicht müde zu beschreiben, was Graf im Gegensatz zu vielen anderen Kollegen scheinbar instinktiv richtig macht. Ach, würden doch zwei, drei, hunderte Grafs blühen!
Vielleicht hätte auch mal jemand schreiben sollen: „Wer einen Dominik Graf-Film nachmacht oder fälscht oder einen gefälschten Graf-Film in Umlauf bringt, wird mit Achselzucken und Spott bedacht, dass es nur so kracht!“ Philipp Leinemann heißt der Zauberlehrling und ihm gelang es immerhin erfolgreich, so zu tun, als ob. Dafür – für das als-ob – gibt es Gründe: Weil Leinemann seinen Film mit einschlägigen und durchaus profilierten Darstellern wie Misel Maticevic, Ronald Zehrfeld, Bernhard Schütz, Thomas Thieme oder Frederick Lau besetzt hat, mutet „Wir sind Könige“ wie ein Verschnitt aus drei Dominik Graf-Filmen an. Nur, dass sich die Schauspieler hier im allgemeinen Gebrüll, Gefluche, Gesaufe und Geflenne ungebremst um Kopf und Kragen spielen dürfen.
Wer sagt denn, dass Männer ihre Gefühle nicht zeigen können? In Philipp Leinemanns Polizeifilm wird von Männern unterschiedlichen Alters derart abendfüllend gebrüllt, geflucht, geweint, gehadert, gestritten, geschossen, geprügelt, geblutet, gejagt und gefeiert, dass sich die Balken biegen – und der Zuschauer mitunter die Übersicht zu verlieren droht, zumal die Wurzeln der hier verhandelten Konflikte sämtlich außerhalb der Filmhandlung liegen.
Gleich zu Beginn geht ein SEK-Einsatz in einem Problemviertel furchtbar schief, bei dem die beteiligten Beamten nicht so recht wissen, warum er überhaupt stattfindet und wem er gilt. Weil er aber schiefgeht, gibt es sogleich Ärger, denn die SEK-Einheit steht als selbstermächtigte Elite ohnehin unter Beobachtung. Weil sich »die da oben« nicht für die kleinen Polizisten interessieren, muss man sich eben selbst beizeiten um die Alters- und Hinterbliebenenversorgung kümmern.
Während die juvenil auftretenden Mitglieder des SEK ohne Hobbies und Privatleben noch lautstark gemeinsam ihre Wunden lecken, nimmt der Film zwei konkurrierende Jugend-Gangs in den Blick und dazu noch den 13jährigen Nasim, der mit allen Mitteln versucht, »dabei« zu sein. Egal wo, egal warum. Mal will er sich vom prolligen Jacek ein Messer besorgen lassen, um sich verteidigen zu können. Mal klaut er im Supermarkt seines Vaters Geld, um dem freundlich-nachdenklichen Thorsten ein viel zu teures Geburtstagsgeschenk machen zu können, mit dem er dann gleich dessen Kumpels düpiert, die für ein billigeres Gerät zusammengelegt haben. Thorsten, der auf Bewährung ist und als einziger Jugendlicher grammatisch fehlerfreies Hochdeutsch redet, hat zudem eine Freundin und will die Szene hinter sich lassen. Doch in dieser Stadt ohne Namen sitzen die Fäuste locker.
Mal prügeln sich die Jugendlichen, mal prügeln die SEK-Beamten mit, mal werden normale Streifenpolizisten auf der Straße in Massenschlägereien verwickelt und müssen von den „SEKies“ rausgehauen werden, manchmal geraten auch SEKies und Streifenpolizisten aneinander. Ohnehin stehen die SEKies ständig unter Strom: wenn sie nach einem flüchtigen Täter suchen, rücken sie mit Scharfschützen an und brechen Türen auf, um mit möglichen Zeugen ein wenig zu plaudern. Wobei dann wenig mehr als ein paar coole Sprüche rausgepresst werden. Als dann eines Nachts zwei Kollegen erschossen werden und eine Dienstpistole verschwindet, steht Selbstjustiz auf der Tagesordnung. Hier kommt nun wieder Nasim ins Spiel, der scheinbar naiv, aber mit außerordentlichem Geschick alle Seiten gegeneinander ausspielt, Spuren legt, Hinweise gibt, sich als Köder andient.
Da „Wir sind Könige“ als Genrefilm konzipiert ist, sollte man ihm seine Klischees, holzschnittartigen Verdichtungen und psychologischen Leerstellen gar nicht erst vorhalten. Dumm ist dabei nur, dass der Filmemacher glaubt, dass sein Film vom Testosteron des plakativ Männerbündischen derart profitiert, dass allein schon Laustärke und ungebrochenes Imponiergehabe aus einem konventionellen und eher schwachen Fernsehfilm ein kinotaugliches Produkt macht.
Doch ein äußerst schwaches Drehbuch behauptet viele Wendungen der sehr konstruierten und trotzdem absehbaren Geschichte nur: erst wird ein Jugendlicher für tot gehalten, dann macht sich ein Kollege mal schlau und ist sofort auf der richtigen Spur. Erst fordern die SEKies unbedingten Korpsgeist ein, dann liest einer von ihnen mal kurz die Akten zum Fall (Büroarbeit!) und entdeckt sofort eine Verschwörung, die leider niemanden außer ihn selbst zu interessieren scheint. Weshalb er sich dann binnen weniger Minuten zum Softie wandelt, dem »das alles« gegen den Strich geht und der Konsequenzen zieht.
Zehrfeld, wie er leibt und lebt.
Die Schwäche des Films ist nämlich nicht sein Imponiergehabe, sondern sein fehlendes Gespür für Zwischentöne. Am Ende gönnt sich der Film die Pointe eines denkwürdigen Erinnerungsbildes (remember: „The Shining“), in dem sich Täter und Opfer nach dem Saufgelage in den Armen liegen. Feiern oder morden – dem Adrenalin ist‘s letztlich einerlei.