John Turturro spielt einen Gigolo. Woody Allen seinen Zuhälter. Zur ebenfalls rapide gealterten Kundschaft gehört unter anderem Sharon Stone. Dass diese Grundkonstellation in ihrer Durchgeknalltheit allzu berechnend auf die Zielgruppe zugeschnitten daher kommt, ist noch eines der kleineren Probleme von „Fading Gigolo“, der fünften Regiearbeit Turturros, der als Darsteller unter anderem aus verschiedenen Filmen der Coens und Spike Lees bekannt ist. Wesentlich heikler ist da schon die Tatsache, dass man nach den 98 Minuten des Films relativ ratlos ist, was genau er mit dieser Prämisse eigentlich vorhatte. Was Sie schon immer über männliche Prostitution wissen wollten … erfahren Sie hier jedenfalls nicht.
Murray (Allen) muss die Buchhandlung schließen, die er von seinen Vorvätern übernommen hat. Auf der Suche nach neuen Einnahmequellen erfährt er, dass seine Hautärztin Dr. Parker (Stone) von einer Ménage à trois träumt. In seinem guten Freund Fioravante (Turturro) meint er den richtigen für den Job gefunden zu haben. Dass dieser gut mit seinen Händen ist, beweist er beim Binden von raffinierten Blumengestecken. Schönheit im eigentlichen Sinne wird wettgemacht durch einen gewissen animalischen Charme („Ist Mick Jagger etwa schön?“) Der exotische Name, ebenfalls der Welt der Flora entstammend, und das Rezitieren von Weisheiten über die Liebe auf Spanisch machen ihn distinguiert genug für Frauen, die sich ein paar leidenschaftliche Stunden 1000 Dollar kosten lassen können. Nach einigem Zögern lässt sich Fioravante überreden, Murrays „Hoe“, also „Nutte“, zu werden.
„Plötzlich Gigolo“, wie „Fading Gigolo“ mal wieder recht dämlich auf Deutsch heißt, ist ein Herbstfilm, ein Film, der Originaltitel verrät es, über das Verblassen, das Verblühen und Verwelken. Goldbraun liegt das Laub auf den Straßen und im Park, leuchtet das Licht, in das Figuren und Schauplätze getaucht werden. Dass das recht schick aussieht, täuscht nur ungenügend darüber hinweg, dass sich dahinter eine recht simple Symbolik auf das fortgeschrittene Lebensalter aller Figuren versteckt.
Es fügt sich da ins Bild, dass man von allen Beteiligten wahrlich schon Besseres, Frischeres Gesehen hat. Die Allen-Figur mit ihrem Geschäftssinn, den Witzeleien über Ärzte und Medikamente, der ordentlich zupackenden afroamerikanischen Gemahlin und dazugehörigen Kinderschaar ist reine Manier. Es wundert kaum, dass Allen in den interessanteren Filmen seines Spätwerks („Midnight in Paris“, „Blue Valentine“) nicht selbst mitspielte. Und auch John Turturro hatte sicherlich schon wesentlich mehr zu bieten als den ergrauten Latin Lover hier.
Aber es sind gerade die Frauenfiguren, in denen sich das Grundfalsche an diesem Film offenbart. Da ist Sharon Stone, die einst, 22 Jahre ist das her, mit einem Beinüberschlag, der tiefe Einblicke bot, Filmgeschichte schrieb und die Femme fatale für die Neunziger neu erfand. Die verheerende Frau als Ausdruck eines männlichen Todestriebs. Paul Verhoevens „Basic Instinct“ entlarvte die Misogynie dieser männlichen Projektion, indem er sie überdeutlich ausstellte. In „Fading Gigolo“ ist dieses Angstbild der ultra-reichen, -intelligenten und –bösen Frau so weit gezähmt, unschädlich gemacht, dass von ihm nur noch eine von Selbstzweifeln zerfressene Neurotikerin in ihrem Luxus-Appartement übrig ist, die aus ihrer für sie offenbar ziemlich unbefriedigenden Ehe mit wildem Gigolo-Sex ausschert.
Ihre Freundin Selima, die die Dritte in der geplanten Ménage sein soll, wird gespielt von Sofía Vergara. Mit ihrem starken Latino-Akzent bietet sie Turturro an, einen Strap-On anzulegen. Auch die dominante, penetrierende Frau ist hier klar als Männerphantasie zu erkennen. Die Art, wie die Kamera sie in Dessous, mit ausladendem Dekolleté und meterhohen High Heels zeigt, verdeutlicht, dass es dem Film, anders als etwa „Magic Mike“ oder, viel früher, Peter Kerns „Crazy Boys“, nicht daran gelegen ist, die gängige Ordnung von männlichem Blick und weiblichem Bild zu unterlaufen.
Schließlich Vanessa Paradis als Avigail. Die Witwe eines chassidischen Rabbiners, die ihren Mann jung geheiratet hat und nun nach dessen Ableben mit den sechs Kindern allein dasteht, in weltlichen Dingen denkbar unbewandert. Sie lässt sich von Murray überreden, Fioravantes Dienste in Anspruch zu nehmen. Mit ihr kommt auch das in den Film, was in Geschichten über Prostitution von jeher die Ökonomie des Begehrens durcheinander bringt: die Liebe. Und das gleich doppelt. Nicht nur, dass sich Fioravante und sie auf eine Art näher kommen, die nicht im Sinne der Geschäfte ist, in einem weiteren Handlungsstrang geht es um Dovi (Liev Schreiber), einen Chassid und Mitglied der Nachbarschaftswache, der Avigail seit der Kindheit anhimmelt und über ihre Beziehung zu Fioravante zunehmend argwöhnisch und eifersüchtig beäugt. Die (Über-)Zeichnung des jüdischen Milieus von Williamsburg, Brooklyn ist noch eine der stärkeren Seiten des Films. Nicht dass es an einem Humor, der sich zu großen Teilen aus Schläfenlocken nährt, nichts auszusetzen gäbe, nicht dass man das nicht auch schon überzeugender gesehen hätte (in „A Serious Man“ von den Coens zum Beispiel), aber hier ist der Film für Momente zumindest auf vorteilhafte Weise durchgeknallt, traut sich etwas, wo er doch sonst allzu sehr auf Nummer Sicher geht.
Auf eine eigentliche Liebesgeschichte will „Fading Gigolo“ dann allerdings nicht hinaus. Vielmehr geht es darum, wie eine zurückgezogene, zutiefst verunsicherte Frau über den Tod ihres Mannes hinwegkommt. Um „Sexual Healing“ also, wie es einst in einem Song von Marvin Gaye hieß. Hier fügt es sich zu einer sozialpädagogischen Altherrenphantasie.