Die Vivisektion eines menschlichen Auges mit den Mitteln des Kinos. Mit jedem Schnitt, ausgeführt wie mit dem Rasiermesser, ist die Kamera noch näher dran am Gesicht der übrigens kürzlich verstorbene Marylin Burns. Bis im extremen Close-Up nur noch Details ihres Auges zu sehen sind. Rote Äderchen, die Iris, ein Lid, an dem sich eine Träne sammelt. So nah wie die Kamera in dieser Szene von Tobe Hoopers „The Texas Chainsaw Massacre“ an der Figur ist, will der Film auch an uns ran. Seine Zuschauer. Seine Opfer. Er benutzt dazu alle Mittel, die dem Medium zur Verfügung stehen. Verwackelte, grobkörnige Bilder. Grelle Farben. Schrille Schreie und Sounds. Hektische Jump-Cuts. Ein Terror-Film. Film als Terror für die Sinne.
In der Szene mit dem Auge ist Sally (Burns) die einzige Überlebende von den fünf jungen Menschen, die es in den texanischen Backwoods mit der liebenswürdigen Familie zu tun bekamen, die nach der Schließung des örtlichen Schlachthofs sich darauf verlegte, aus Menschen Wurst zu machen („My family always been in meat“). Sie wird von der Familie um Leatherface, den Mann mit der Menschenledermaske und der Kettensäge, zu einem Dinner geladen, bei dem sie selbst der Hauptgang ist. Dass sie schließlich davonkommt, macht sie zum ersten final girl der Filmgeschichte.
Was die blutigen Schauwerte anbelangt, ist Hoopers Meisterwerk für heutige Genre-Maßstäbe beinahe zahm. Die Radikalität des Films liegt aber in dem Versuch, ein ganz und gar physisches Kino zu schaffen, das direkt auf das körperliche (Schmerz-)Erleben des Zuschauers abzielt. Die Gnadenlosigkeit, mit der er alle Mittel, die dem Kino zur Verfügung stehen, nutzt, um dieses Ziel zu erreichen, ist in den vergangenen vier Jahrzehnten kaum jemals erreicht worden. TCM ist weniger ein Film über Menschen in einer ausweglosen Situation, als über Körper, die mit Rasierklingen, Fleischerhaken, Kettensägen und Hämmern geschunden und zerstört werden.
Für weniger als 300.000 Dollar auf 16mm gedreht, ist TCM ein Film voller gelungener Stimmungsbilder und Kamerafahrten, der sich unter Genre-Aficionados zu einem Kultfilm entwickelte und über 30 Millionen eingespielt haben soll. Leatherface wurde zu einer Ikone des Horrorfilms. Die erste Fortsetzung drehte Hooper 1986 selbst mit Dennis Hopper in der Hauptrolle und allerlei texanischer Lokalprominenz in Nebenrollen. Der Regisseur erklärte, dass er die komischen Elemente, die schon im ersten Teil vorhanden gewesen seien, mehr herausarbeiten wollte. Herausgekommen ist ein beispiellos hysterischer Film, der die Saga um die kannibalische Wurstfabrikanten-Familie ins Komödiantisch-Groteske überspitzt. Zwei weitere Sequels, ein Prequel und zwei Remakes folgten, wobei der letztes Jahr auf DVD veröffentlichte „Texas Chainsaw 3D“ gut daran tat, sich ganz auf die Weitererzählung der Ereignisse des Originals zu konzentrieren.
In Deutschland war der Film übrigens in seiner ungeschnittenen Form mehrere Jahrzehnte verboten. Das Label Turbine ist erfolgreich gegen Indizierung und Beschlagnahme vorgegangen und hat den Film 2012 in einer absolut formidablen DVD und Blu-ray-Edition neu und allgemeinzugänglich veröffentlicht. Das sechzigseitige Booklet widmet sich ganz der deutschen Zensurgeschichte des Films. Darin beschrieben ist auch die jahrelange, regelrecht kafkaeske Reise des Labels durch den deutschen Institutionen- und Paragraphen-Dschungel, um etwas zu erreichen, was in fast jedem anderen westlichen Land selbstverständlich ist, nämlich dass sich erwachsene Menschen legal einen Horrorfilm ansehen dürfen.
Da diese Schlacht im Sinne der Fans und all derer, die es werden wollen, ausgegangen ist, kann „The Texas Chainsaw Massacre“ nun zu seinem vierzigsten Geburtstag in einer neuen 4K-Abtastung sein Comeback auf der großen Leinwand feiern.