Nach einer absurd lang anmutenden Auflistung all der Institutionen, welche mit ihren Fördergeldern die Entstehung dieser deutsch-brasilianischen Koproduktion erst ermöglicht haben, fluten endlich Bild und Sound die Leinwand: Zum düster pumpenden Suicide-Song „Ghost Rider“ schwenkt die Kamera über den titelgebenden Strand an der brasilianischen Atlantikküste und folgt aus der Distanz zwei Motorradfahrern auf ihrem Weg durch Dünen und Windkraftanlagen. Alles ist Energie und Bewegung, die beiden Gestalten in der Ferne treibt es immer weiter den Strand entlang, runter von ihren Maschinen und schließlich rein in den endlosen Ozean. Selbst hier gibt es kein Halten, noch im Spurt Richtung Wasser werden die Klamotten von den Leibern gestreift.
Der Bruch, den der folgende Schnitt mit sich bringt, könnte härter nicht sein: Der Drive nach Vorne wird zu einem hilflosen Zappeln, der Soundtrack verstummt und statt des weitläufigen Panoramas des establishing shots bleibt nur ein trüber Blick auf einen leblosen Körper, der langsam von der Meeresströmung davon getrieben wird. Mit einem Ertrinkenden endet dieser Prolog, der zugleich auch eindrucksvoll das Prinzip von „Praia do Futuro“ demonstriert. Denn das Taumeln zwischen überlebensgroßer Melodramatik und realitätsnaher Ernüchterung zieht sich – wenn auch nicht so im Extrem ausgespielt wie in der Exposition – als Masche durch den gesamten Film.
Anhand von drei mit eigenen Titeln versehenen Akten erzählt Regisseur und Drehbuchautor Karim Aïnouz von dem Deutschen Konrad (Clemens Schick), der seinen besten Freund am Praia do Futuro verloren hat, und dem Rettungsschwimmer Donato (Wagner Moura), der nicht in der Lage war, besagten Freund vor dem Ertrinken zu retten. Die gemeinsame Suche der beiden Männer nach dem Leichnam des Ertrunkenen gerät dabei schnell zugunsten einer schwulen Liebesgeschichte in den Hintergrund – so abrupt und hart wie vom ersten Aufeinandertreffen der zwei Fremden im Krankenhaus zu deren Fick im Auto geschnitten wird, so plötzlich springt der Film im zweiten Akt in ein gespenstisch graues Berlin und mitten in den Beziehungsalltag von Konrad und Donato.
Dem Melodram – auf das sich „Praia do Futuro“ allein vom Inhalt her abstrahieren ließe und das Aïnouz mit der Inszenierung von uferlosen Seelenlandschaften und eng kadrierten Innenräumen bisweilen durchaus bedient – werden so durch Abschweifungen sowie durch Zeitsprünge und Ellipsen die ganz großen Gesten und Gefühlsausbrüche immer wieder ausgetrieben. Die Konflikte wirken wie verschluckt und hallen wie der Tod des Ertrunkenen bloß noch unter der Oberfläche nach. Dass sich Aïnouz dabei sowohl einer schlüssigen Charakterentwicklung als auch einer stringenten Dramaturgie verweigert, lässt sich einerseits bemängeln, ermöglicht dem Film im gleichen Zug aber auch seinen selbstbewussten Umgang und den radikalen Bruch mit melodramatischen Konventionen.
Denn wo das Melodram typischerweise im Exzess aufgeht und aus der Unangemessenheit der Gefühle ein tragisches Scheitern der Helden erfolgt, da entwickelt sich „Praia do Futuro“ besonders im zweiten Akt zu einem eher unaufgeregten Beziehungsfilm, der homosexuelle Intimität zwischen Frühstückstisch und Clubnächten einfängt. Das erinnert mit seinem post-emanzipatorischen Gestus und den betont beiläufig vor der Kamera baumelnden Schwänzen stark an den schwulen Neorealismus, mit dem Filmemacher wie Ira Sachs („Keep the Lights On“, 2012), Andrew Haigh („Weekend“, 2011) und Travis Mathews („I Want Your Love“, 2012) in den letzten Jahren auf sich aufmerksam machten.
Erst im dritten und finalen Akt taucht gemeinsam mit Donatos Bruder (Jesuita Barbosa) auch das Melodram wieder auf: Mit der Ankunft des Heranwachsenden Ayrtons, der noch ein Hühnchen mit seinem älteren Bruder zu rupfen hat, werden die Dialoge metaphernschwer, die Settings expressiver und das Konfliktpotenzial in Donatos gelebter Homosexualität präsenter. Dass man sich darauf nur bedingt einlassen und dem Film seine Konflikte nicht immer abkaufen will, ist dabei sicherlich auch Aïnouz‘ fragmentarischer Erzählweise geschuldet, die eher in vage Stimmungen und eine dichte Atmosphäre investiert als in nachvollziehbare Handlungen und glaubwürdige Figuren.