Die Situation auf dem Berliner Wohnungsmarkt verändert sich rapide – und mit ihr die soziale Struktur der gesamten Stadt. Der Bau von Luxuslofts, die „Aufwertung“ vorhandener Bausubstanz oder auch die Umwandlung derselben in lukrative Eigentums- oder Ferienwohnungen für die boomende Tourismusstadt machen Wohnraum in der Innenstadt zu einem Luxusgut, das für sozial Schwächere zunehmend unerschwinglich ist.
Gertrud Schulte Westenberg und Matthias Coers haben nun in eigener Produktion einen Dokumentarfilm gedreht, der sich weniger mit den Mechanismen von Gentrifizierung und Verdrängung befasst als mit den vielfältigen Formen, sie zu bekämpfen. Ihre ProtagonistInnen sind die Berliner „Mietrebellen“ und ihr Thema, wie es der Untertitel verkündet, der „Widerstand gegen den Ausverkauf der Stadt“.
Ausgehend von dem Fall der schwer behinderten Rentnerin Rosemarie Fliess, die im April 2013, zwei Tage nachdem ihre Wohnung zwangsgeräumt wurde, in einer Wärmestube verstirbt, zeichnet der Film ein Kaleidoskop der unterschiedlichen Bewegungen, die sich, über die ganze Stadt verteilt und über soziale, Bildungs- und Altersgrenzen hinweg, zur Wehr setzen gegen drastisch steigende Mieten, Zwangsräumungen und Verdrängung.
Da wäre die Initiative Kotti & Co., die ein Camp am Kottbusser Tor in Kreuzberg errichtet hat, um von hier aus auf vielfältige Weise auf die beständig steigenden Mieten aufmerksam zu machen in den einst speziell für GastarbeiterInnen erbauten sozialen Wohnungsbau-Quartieren des Viertels. Oder die Stille Straße in Pankow, wo eine SeniorInnen-Freizeitstätte von ihren NutzerInnen besetzt wurde, die sich nicht damit abfinden wollen, dass sie wegen Sparmaßnahmen geschlossen werden soll.
Es wird erzählt von den BewohnerInnen der Palisadenstraße in Friedrichshain, die sich organisieren, um gegen die Verdopplung der Miete in ihren alten – und behindertengerechten ehemaligen Sozialwohnungen vorzugehen, wie auch vom Bündnis „Zwangsräumungen verhindern“, das zur Stelle ist, wo immer jemand mit Gerichtsvollzieher und Polizei aus seiner Wohnung geholt werden soll.
Einerseits ist „Mietrebellen“ der Form nach eine Agit-Doc reinsten Wassers. Die Inszenierung trachtet immer nach einem Maximum an emotionaler Einbeziehung des Zuschauers. Wenn die Polizisten Wohnungen stürmen oder protestierende Demonstranten von der Straße schleppen, ist die Kamera mitten im Gerangel. Selbst in den – in einer Doku, die über weite Strecken als Interview-Film funktioniert, wohl unvermeidbaren – talking heads-Sequenzen steht sie so schräg zu den Gesichtern, sind die Kadrierungen einerseits so eng und beziehen andererseits den Hintergrund so mit ein, dass eine größtmögliche Spannung entsteht. Relativ zu Beginn gibt es einen harten Schnitt von dem sommerlichen kulturübergreifenden Treiben auf dem Kotti zum Plenum in der Stillen Straße, auf dem eine ältere Frau, sichtlich um Fassung ringend, immer wütender die Lage ihrer Einrichtung schildert – keine sehr subtile Art, die ganze Bandbreite der Bewegung zu zeigen. Die Gegenseite, sei es in Gestalt von Hausbesitzern, Vermietern, Stadtplanern oder einfach irgendjemand, der die Verhältnisse auf dem Berliner Wohnungsmarkt nicht nur scheiße finden würde, kommt in diesem Film nicht zu Wort. Stattdessen hat man in den 78 Minuten reichlich Zeit, die gängigen Parolen auswendig zu lernen.
Andererseits, und damit ist man von den Mechanismen gängiger „Propaganda“ denkbar weit entfernt, versucht der Film gerade nicht sein Anliegen für eine politische – gar konkret parteipolitische – Agenda zu instrumentalisieren. So unterschiedlich die Menschen und ihre Situationen sind, so sind es auch ihre Ansichten zu der Lage und ihr Protest. Ein Mann auf dem letzten nicht bebauten Stück Spreeufer in Kreuzberg spricht von einem Klassenkampf, bei dem die Reichen die Armen aus der Innenstadt vertreiben wollen. Ein anderer plädiert bei einer Plenumsdiskussion dafür, nicht nur „linke, sondern auch bürgerliche Kräfte“ mit den Aktionen anzusprechen. Eine junge Frau auf einer Demo mit schwarzem Basecap und schwarz-rotem Stern am Ohr freut sich, dass nicht nur Menschen aus der links-autonomen Szene, sondern zunehmend auch SeniorInnen mobilisiert werden können.
Hier bezieht der Film keine Stellung, sondern lässt die unterschiedlichen Ansichten zu. Es bedarf keiner großen Ideologien, um die kleinen Kämpfe von Menschen zu rechtfertigen, die nicht aus ihrem gewohnten sozialen Umfeld in triste heruntergekommene Siedlungen am Stadtrand vertrieben werden wollen. „Mietrebellen“ zeigt konkrete Handlungsspielräume auf: Man kann offensichtlich durchaus erfolgreich gegen Zwangsräumungen und überzogene Mieterhöhungen vorgehen. Die Art, wie er sich für lokales Handeln einsetzt, das nicht unbedingt gleich eines globalen Denkens bedarf, macht „Mietrebellen“ zu einem im besten Sinn des Wortes „altmodischen“ politischen Film.
„Mietrebellen“ ist ab 24.04.2014 in den Berliner Kinos Moviemento, Lichtblick-Kino und Central zu sehen. Weitere Termine in Berlin und auch bundesweit sind in Planung.