Am Anfang schlief Gott, ein sympathischer älterer Herr mit Rauschebart, auf eine Wolke gebettet. Weil ihm, als er erwachte, langweilig war, formte er einen großen Ball, den er als Sonne an den Himmel warf, ließ Licht werden mit einem Feuerzeug – die Dinger waren offenbar in der Prähistorie schon genauso zickig und unzuverlässig wie heute –, schoss gemeinsam mit seinen drei Engelchen die Sterne ans Firmament und machte sich sodann an sein erstes Meisterstück: die Erde. Da ein solch aufwändiges Schöpfungsprojekt gut organisiert sein will, muss ein Sechs-Tage-Plan her. Gott und seine kleinen Helfer formen das Land und die Berge, mahlen den Sand der Wüsten, als erster Barkeeper der Schöpfungsgeschichte mixt Gott aus Wasser- und Sauerstoff das kühle Nass der Meere. Dann zeichnen und entwerfen sie allerlei Pflanzen und Tiere, die sie anschließend zusammenbauen, werkeln und nähen und in hübschen bunten Farben anmalen, streichen und lackieren.
Was ihnen die Arbeit erschwert, ist der gefallene Engel, ein gehörnter Saboteur in rot. Ebenfalls mit Unterstützung dreier Gehilfen, kleine Teufelchen allesamt, treibt er allerlei Schabernack mit dem Nützlichen und Guten, das die himmlische Schar kreiert. Er schneidet den Bergen die wohlgeformten Gipfel ab, um sie in Vulkane zu verwandeln. Während die Engelchen gar nützlich gärtnern, ersinnen die Teufelchen Nikotin, Alkohol und Opium. Die göttlichen Schöpfungen Elefanten, Nashörner und Wildschweine versehen sie mit Stoßzähnen, Hörnern und Hauern. Gottes Werk und Teufels Beitrag.
Schließlich schafft Gott, als Gipfel seiner Schöpfung, den ersten Menschen. Ein Skelett wird entworfen, eine Schicht aus Muskeln und Sehnen darüber zusammengenäht, das Ganze ordentlich in Haut verpackt, viele Meter Darm von der Rolle verlegt – der nimmer ruhende Rote fügt eilig den Blinddarm hinzu. Da aber, wie jede andere, auch die Menschmaschine einen Motor und dieser Treibstoff braucht, wird noch das Herz eingesetzt und das fertige Wesen mit Blut betankt. Jetzt kann Adam der Lebensatem eingehaucht werden.
Damit er aber nicht einsam würde, entnahm der Schöpfer, ein fachmännischer chirurgischer Eingriff des Ganzgottes in Weiß, seiner Rippe eine Frau, Eva. Nun setzt sich Gott nach so viel Schöpfungsarbeit zur verdienten Sonntags-Ruhe. Adam und Eva aber gehen Hand in Hand in die Welt hinein, der Sonne entgegen.
So – recht frei nach Motiven der biblischen Genesis also – erzählt uns die Geschichte der Welterschaffung ein tschechisch-französischer Zeichentrickfilm von 1957. Der Film basiert auf den Bilderzyklen 'Die Erschaffung der Welt' und 'Die Erschaffung des Menschen' des französischen Autors und Zeichners Jean Effel, der auf einer Ausstellung seiner Werke in Tschechien den Regisseur Eduard Hofmann kennenlernte. In gemeinsamer Arbeit entstand in vier Jahren 'Die Erschaffung der Welt', der auf den Filmfestspielen von Venedig mit einem Sonderpreis geehrt wurde. Kaum amüsiert zeigte sich hingegen der Vatikan.
Der „Osservatore Romano“ sah in dem Film „eine groteske Verhöhnung der Heiligen Schrift… Als in besonderem Maße gotteslästerlich sind … die Szenen zu bezeichnen, die die Erschaffung des Menschen behandeln und allein die Verbreitung des Atheismus beabsichtigen.' In der Folge fand sich in Italien – wie auch in der Bundesrepublik – kein Verleiher, der sich des Werkes annahm. In „sozialistischen“ Ländern hingegen stießen Effel und Hofmann auf wesentlich mehr Verständnis, die sich übrigens keiner Schuld bewusst waren und sogar anboten, bestimmte Stellen auf Wunsch des Vatikans zu ändern, was man in Rom allerdings ausschlug. In der DDR kam der Film 1959 in einer von der DEFA angefertigten Synchronisation in die Kinos und erfreute sich großer Beliebtheit.
Das Label „Karussell“, Kindern der Achtziger wie mir wahrscheinlich vor allem wegen seiner Hörspiel-Kassetten in Erinnerung, legte den Film nun am 13. Dezember 2013 gleich doppelt neu auf DVD auf: zum einen in einer Synchronisation des NDR von 1995, zum anderen erstmalig auch in der DEFA-Variante. Das ist erfreulich, gibt es doch die Möglichkeit, einen ziemlich charmanten Zeichentrickklassiker neu zu entdecken – und ein überaus interessantes Stück Ideologie-Geschichte. (Nur auf der DEFA-DVD gibt es auch eine tschechische Original-Tonspur, allerdings ohne Untertitel. Was schade ist, weil nur am Original-Text orientierte Untertitel Aufschluss darüber geben könnten, wie viel der „Ost-Block-Ideologie“ des Films wirklich von Hofmann und Effel stammt – und wie viel Produkt des DEFA-Synchron-Studios ist.) Die Unterschiede zwischen den beiden Synchros sind so groß wie erwartbar. So spricht nur die DEFA gleich im ersten Satz dem schlafenden Gott seine Existenz ab. Auch bestimmte Liedzeilen waren dem Publikum der damaligen DDR vorbehalten: „Liebet und vermehret Euch, Ihr müsst die Welt verwandeln/ Liebet und vermehret Euch heißt dialektisch Handeln“.
Auf den naiven biblischen Schöpfungsbericht reagiert der Film mit einem – kaum minder naiven – Glauben an den technologischen Fortschritt. Weltenerschaffung als Hohelied auf Technik und Arbeitskraft. Immer wieder sieht man den Bildern auch eine gewisse militaristische Tendenz an. Etwa wenn Gott die Bäume erschafft und vor den bis zum Horizont reichenden Alleen Leibesübungen macht: „Gen Himmel, stree-cken“. Während Gott die Gänse ihren sprichwörtlichen Marsch lehrt, ist auch der Teufel nicht untätig: Er bringt den Krebsen bei, in Reih und Glied rückwärts zu gehen. (Herrlich hier wieder die DEFA-Synchro: „Und diese Runde Gott verliert, der Rückschrittler marschiert. Zehn, neun, acht, sieben, sechs… Immer rechts.“) Das Schöne dabei ist allerdings, dass der Film diese Gegenerzählungen kaum ernster nimmt als seine biblischen Quellen. Jedenfalls heben sich nicht nur der Teufel und seine Gehilfen wohltuend vom unermüdlichen Schaffen des greisen Workaholic ab, sondern auch bei den Engelchen regiert das Lustprinzip. So ersann etwa einer von ihnen den Oktopus nach einem ordentlichen Zug aus der Weinflasche. Ihnen geht es mehr um die unbegrenzten Möglichkeiten des freudigen Spielens, Experimentierens und Improvisierens als um das Ergebnis.
In die Tradition des sowjetischen Kinos stellt sich der Film wohl am deutlichsten mit einem Traum Adams – übrigens eine der schönsten Szenen. Hintereinander imaginiert er sich als Pharao, König, kapitalistischer Fabrikbesitzer und muslimischer Prediger. Seine Untergebenen – in weißen Strichen vor komplett schwarzem Hintergrund gehalten und sich schon dadurch von den verschiedenen mehrfarbigen Adam-Inkarnationen abhebend – sind wahlweise Krokodile, Oktopusse oder Sonnenblumen. Wohl in Anspielung auf den göttlichen Auftrag, sich die Erde und alles was auf ihr kreucht und fleucht, untertan zu machen.
Die Zyklen Effels sind nicht als fortlaufende Bildergeschichten konzipiert. Eher stellt jedes Bild eine kleine Episode dar, bestehend aus einer Zeichnung und einem Satz, die sich dann lose zu einer Handlung zusammenfügen. Diese Struktur tritt auch im Film hervor, ebenso wie der unverkennbare, sowohl schlichte wie phantasievolle Stil des Zeichners.
Richtig zündend ist der Humor, jedenfalls für mich, nicht mehr. Mehr als ein Schmunzeln hier und da konnte mir der Film eigentlich nie abgewinnen. Grandios fand ich hingegen das eine oder andere surreale Bild, das er parat hält. Etwa wenn Gott dem Pfau die Augen aufs Gefieder malt, die sich prompt öffnen und uns ansehen. Oder auch Gottes Traum, in dem er sich vervielfacht, um Hilfe bei der Arbeit zu haben. Die Erfindung des Polytheismus. Am schönsten aber sind die Szenen, in denen getanzt wird: Der Teufel tanzt mit einer Schar Fledermäuse, Gott mit dem Teufel und – am tollsten – der Teufel tanzt mit dem Spiegelbild Evas auf dem Wasser, zu – so schrieb’s zumindest der „Osservatore Romano“ – „frenetischem Rock’n’Roll“. Hier kommt ins Drehen und Wirbeln, was sonst oft etwas schwerfällig ist, wirkt frisch und spritzig, was an manch anderer Stelle doch etwas schlecht gealtert erscheint.
Bild und Ton der DVDs sieht und hört man das Alter des Materials stellenweise stark an. Im Großen und Ganzen sind sie aber ordentlich restauriert, wobei man sicherlich keine HD-Qualität erwarten sollte – die man allerdings bei diesem Film auch nicht wirklich braucht. Unverständlich bleibt mir hingegen die Entscheidung, die beiden – vom Bildinhalt identischen – Versionen auf zwei getrennten Scheiben zu veröffentlichen. Schätzt das Label den Kult-Status des Films tatsächlich so hoch ein, dass ihn sich irgendwer nur wegen der verschiedenen Synchronisationen gleich doppelt zulegt?