Bei Warner ist Tim Burton definitiv besser aufgehoben als bei Disney. Sein Ausflug ins dortige Wunderland walzte über ausgetretene Pfade. Nun, zurück im Warner-Studio, durchstreift er wieder den rankenden Zaubergarten seiner eigenen kindlich-romantisch-schrägen Fantasie.
Johnny Depp spielt in „Dark Shadows“ einen Vampir namens Barnabas Collins, seit 200 Jahren eingeschlossen in einem Sarg, lebendig begraben. Bis er von einem Bagger befreit wird, im Jahr 1972, und zu den verlotterten Nachfahren seiner alten Neuengland-Familie zurückkehrt, ins halb verfallene burgähnliche Herrenhaus Collinswood, von wo aus seine Familie damals, in der guten alten Zeit des 18. Jahrhunderts, über die Hafenstadt Collinsport herrschte. Inzwischen ist die Familie verarmt, das Fischereiunternehmen heruntergewirtschaftet, der Stammsitz verstaubt und die Familienmitglieder degeneriert.
Gegenspieler der Collins – und speziell des Urahns Barnabas – ist Angelique Bouchard, die er dereinst verschmähte, nicht wissend, dass sie eine Hexe ist. Sie verfluchte ihn und die Familie, tötete alle, die er liebte, verwandelte ihn in einen Vampir, auf dass er ewig leiden müsse … Nun herrscht sie – durch Hexenkunst ebenfalls unsterblich – über Collinsport mit ihrem Unternehmen Angelbay. Doch Barnabas ist gekommen, sie zu besiegen, persönlich und geschäftlich.
Catherine Collins, Hirn der Collinsfamilie, ist pragmatisch, aber kalt, ihr Bruder Roger ein Nichtsnutz. Die 15-jährige Tochter Carolyn will nichts mit irgendwem zu tun haben. Der Neffe David sieht den Geist seiner verstorbenen Mutter. Die Psychiaterin säuft und ist an sich nutzlos – und diese neue Gouvernante ist seltsam und heißt nicht, wie sie sich nennt: sie hat sich den Namen „Victoria Winters“ von einem Plakat mit Wintersportreklame abgeguckt. Im Übrigen sieht sie aus wie Barnabas‘ verflossene wahre Liebe.
Eine fabelhafte Vampirstory ist diese Filmadaption einer trashigen US-Seifenoper aus den Endsechzigern, mit Fluch und Untoten und Wiedergängern, mit der Qual der Ewigkeit auf Barnabas‘ Schultern und dem Hass zurückgewiesener Liebe als Angeliques Motivation, mit merkwürdigem Personal in der Collins-Sippe, die alle ein Geheimnis haben, mit Geistererscheinungen und Psychiatrie, mit Säufern, Geldgierigen, Mutterlosen und Teenierebellen, mit Burg und Geheimgängen, einem verwilderten Park und einer Selbstmörderklippe über dem brausenden Meer. Burton unternimmt einen wilden Ritt durch die Vampirmythen, von Max Schreck bis Twilight, inklusive Johnny Depps Hypnosefingern, die er von Bela Lugosi übernommen hat – eine Referenz auch auf den von ihm dargestellten Ed Wood, der Lugosi seine letzten Rollen gegeben hat …
Natürlich birgt das Düstere in Burtons Filmen weniger Schrecken als Wehmut und Sehnsucht – und da wir uns in Burtonland befinden, ist alles ebenso ernst gemeint, wie es ironisch gebrochen ist und mit Gags und Witz durchwoben. Ein paar parodistische Schmankerl gibt’s als Zugabe obendrauf: Wie Barnabas sich einen Schlafplatz sucht, kopfüber am Himmelbett, in einem Pappkarton, im Wäscheschrank. Wie er sich steif wie ein Brett von der Horizontalen in die Vertikalen erhebt; wie er sich die Zähne putzt vor einem Spiegel, in dem er sich nicht sieht …
Dazu das schön eingeflochtene Unzeitgemäße von Barnabas, mit seiner altertümlichen Sprache, seinen altertümlichen Gewohnheiten und Sitten, seinem Unverständnis für eine Zeit, in der eh alles drunter und drüber ging, von Vietnamkrieg bis Women’s Rights Movement: Depp ist ja ein Meister des erstaunten Herumstakens, das kann er hier wieder mal ausleben. Er wundert sich mit seinem unsterblichen Dead-Pan-Stutzen über Autos – die Augen des Teufels! – , einen Bagger – ein gelber Drache, der ihn fressen will! – und das McDonalds-M – Mephistopheles, der wahre Name Satans! Wie um ein Mädel werben, wenn er so altmodisch ist? Wo sie doch ein so gebärfreudiges Becken hat, und heutzutage reicht es eben nicht, dem Vater Geld oder Schafe anzubieten! Doch er lebt sich ein, zitiert die Sprachmacht der zeitgemäßen Poeten, die stärker ist als bei Shakespeare: „I’m a picker, I’m a grinner, I’m a lover, and I’m a sinner, playin‘ my music in the sun …“
Das Fish-out-of-Water-Motiv des anachronistischen Untoten, der versetzt wurde in eine nun auch schon lange vergangene Zeit, ist das Fleisch des Films, stark und dynamisch. Das Rückgrat, das ist die alte Geschichte von den Vampiren, als Metapher für den alten, überlebenden, immer wieder erstarkenden, erdrückenden Adel. Mit einem Kniff: Die Collins‘ waren 1760 als Bürgerliche aus Liverpool geflohen, ihr Blut, ihre niedere Herkunft hat ihnen in der englischen Ständegesellschaft nie eine Chance gelassen. In Maine bauen sich die Collins‘ eine Fabrik auf, eine Burg, eine ganze eigene Stadt. Diese Dynastie, die auf Familie und Blut beruht, hat Erfolg, Geld, Achtung gepachtet – bis ihnen eine Hexe, eine Magd noch dazu, diese Errungenschaften strittig macht: in der Neuen Welt schwelt der Kampf des alteingesessenen Geldadels gegen eine dahergelaufenen Emporkömmling in Gestalt von Angelique weiter, über die Jahrhunderte lodert er immer wieder auf bis in die Ewigkeiten des Untotseins, eine Umkehrung der Liverpooler Verhältnisse, denen die Collins‘ entflohen sind.
In Collinswood verschmelzen europäische Eleganz und amerikanischer Unternehmergeist, wie Barnabas über die Einrichtung feststellt – in der Familie paaren sich europäischer Adelsdünkel und amerikanisches Geld- und Machtstreben. Eine Parabel auf den Kapitalismus also, die Burton zu Gunsten des Geldadels auflöst, denn die Neue, die den Status quo streitig macht: sie ist die Hexe, die die traditionell – und völlig zu Recht – Herrschenden entweder umarmen – sprich: aufkaufen – oder ruinieren will. Auf die Seite der alten Blutsauger stellt sich der Film, die gegen die neuen Blutsauger ankämpfen.
Dabei hält Barnabas viel auf Familie: wer drin ist, ist drin. Wer ihn betrügt, wird vor die widerwärtige Wahl gestellt, entweder zu bleiben und die ehrenvolle Aufgabe wahrer Vaterpflichten zu erfüllen, oder mit praller Abfindung schnöde und unehrenhaft abzureisen. Wer nicht drin ist, wer nicht das rechte Blut hat, und ihn dann noch hintergeht, wird innerhalb von fünf Sekunden ausgesaugt.
Im Übrigen muss man auf seinen Ruf achten, ein Ball ist die Präsentation und Manifestation der Macht, sichtet den Herrschenden das Herrschen. Auch wenn der Ball jetzt Happening heißt, eine Discokugel, Schnaps und Alice Cooper, den Schauerspaßrocker, erfordert. Der notabene – und das ist so was wie ein Sinnbild für Burtons nostalgisch-modernes Kino überhaupt – auch in seinem Gastauftritt als über 60-jähriger noch genauso aussieht wie vor 40 Jahren, als der Film spielt.