Onkel Boonmee (Thanapat Saisaymar) leidet an Nierenversagen und hat sich auf sein Landgut im Nordosten Thailands zurückgezogen. Während der alte Mann inmitten seiner Familie den Tod erwartet, erhält er Besuch von verschiedenen Geistern. Darunter sind seine verstorbene Frau Huay (Natthakarn Aphaiwong) und sein verschollener Sohn Boonsong (Jeerasak Kulhong), der nun im Dschungel als Affengeist lebt. Als Boonmees Leben sich dem Ende zuneigt, rekapituliert er seine früheren Leben in anderen Körpern …
Mit seinem sechsten Spielfilm gelingt dem Avantgarde-Regisseur Apichatpong Weerasethakul ein höchst unkonventioneller, märchenhafter Film. Jenseits der mythopoetischen Bildsprache ist 'Uncle Boonmee erinnert sich an seine früheren Leben' eine Parabel auf das gegenwärtige Thailand und seine zwischen Tradition und Moderne zerrissene Gesellschaft. Während Boonmees jüngere Verwandte längst die rückständige Provinz verlassen haben und in der hochtechnisierten Moderne angekommen sind, leben die Älteren noch in einer von Animismus und Geisterglauben geprägten Welt. Wie selbstverständlich unterhalten sich Boonmee und seine Schwester mit verstorbenen Verwandten, die ihnen als Geister oder in Tiergestalt erscheinen.
'Uncle Boonmee …', auf dem Filmfestival in Cannes 2010 mit der Goldenen Palme prämiert, ist der Abschluss von Weerasethakuls Kunstprojekt 'Primitive', das sowohl Installationen wie Filme umfasst. Viele der Stilmittel, die der Filmemacher nutzt, sind im westlichen Kino mit dem Kunstfilm assoziiert: lang gehaltene, oft starre Kameraeinstellungen, eine niedrige Schnittfrequenz und eine verinnerlichte Handlung. Der mäandernden, oft enigmatischen Erzählweise voller Ellipsen und Sprünge stehen Sequenzen mit demonstrativ ausgespielter Echtzeit gegenüber. Manche Zuschauer mag dieser disparate, nur schwer zugängliche Erzählgestus abschrecken. 'Uncle Boonmee …' ist fraglos ein erratischer Film, der tradierte Sehgewohnheiten unterläuft.
Weerasethakuls Drama lebt von ruhigen, fast malerischen Bildern: Wasserdampf, der aus dem Dschungel aufsteigt; zwei Alte, die im Sonnenlicht ungerührt von den sie umfliegenden Bienen Honig aus Waben naschen; ein Wasserbüffel, der in der Nacht durch den Urwald streift – allesamt Bilder, die, begleitet von der fast musikalischen Geräuschkulisse, lange nach dem Kinobesuch nachwirken. Besonders gelungen ist eine märchenhafte Sequenz über eine Prinzessin, die sich von einem Wels begatten lässt – der Fisch ist Boonmee selbst in einer seiner früheren Reinkarnationen. In ihrer anrührenden Naivität erinnert die Episode an die besten Momente aus Pier Paolo Pasolinis 'Trilogie des Lebens'. Wer sich auf solche mythischen Bilder und den meditativen Rhythmus einlässt, wird mit einem Filmerlebnis belohnt, das durch seine lyrische Bildsprache besticht.
Dieser Text ist zuerst erschienen auf: www.br.de