Wochenende, eine heruntergekommene Kneipe in Kalifornien: Bier-Pitcher und Whiskey-Shots gehen im Dutzend über den Tresen, das Publikum besteht vor allem aus Slackern Anfang 20 bis Mitte 30. Ein Wettbewerb wird ausgerufen: 50 Dollar für denjenigen, der die meisten lebenden Heuschrecken isst! Milly (Jessie Wiseman) ist sofort dabei, ihr Herausforderer ist Woodrow (Evan Glodell). Milly gewinnt. Am Tresen trifft sie Woodrow wieder, spendiert ihm ein Bier und einen Whiskey. Tags darauf das erste Date. Wohin es gehen soll? 'I want you to take me to the cheapest, nastiest, scariest place you know!' Also fährt Woodrow Milly nach Texas, dahin, wo man vom Essen Diarrhö bekommt, eine Frau wie Milly schon nach wenigen Metern belästigt wird und Woodrow sogleich von einem Redneck ein blaues Auge verpasst bekommt. Was für ein Beginn für eine Romanze.
Regisseur Evan Glodell (zudem Drehbuchautor, Ko-Cutter und Ko-Produzent) inszeniert mit 'Bellflower' ein kleines, rotziges Indiefilmchen, schnell abgedreht und ökonomisch geschickt mit sich selbst in der Hauptrolle besetzt. Das Ergebnis ist oft unerwartet charmant, auch wenn manche Passagen etwas forciert ausgefallen sind und 'Bellflower' sich zu sehr in der Perspektive seiner Jungsprotagonisten suhlt. Es geht, unter anderem, um Perspektivlosigkeit und die dunkle Magie der Popkultur, den Traum vom Leben wie im Film: 'You need some better images in your life.' Wie wahr! Aber was, wenn diese besseren Bilder vor allem aus Endzeitfilmen stammen? Die Hauptbeschäftigung von Glodells Slacker-Protagonisten ist neben Saufen und dem Herumschrauben an Muscle-Cars vor allem das Basteln eines eigenen Flammenwerfers. Ihr role model ist Lord Humungus aus George Millers 'The Road Warrior', dem zweiten 'Mad Max'-Film. Warum? Darum: 'LORD Fuckin‘ HUMUNGUS! The master of fire, the king of the waste land! Lord Humungus doesn’t get cheated on by some stupid bitch. Lord Humungus doesn’t say: ‚Was it good for you?‘ He doesn’t say: ‚Who called?‘, or: ‚Where were you last night?‘ He doesn’t leave the fuckin‘ game when he falls in love. Nobody fuckin‘ tells Lord Humungus what to do. Lord Humungus fights when he wants to fight. And fucks when he wants to fuck. And when all else fails he drives straight into the fuckin‘ tanker!' Es geht also um narzisstische, gekränkte Männlichkeit, die sich in Endzeitvisionen und Gewaltphantasien verirrt.
Milly geht fremd. Woodrow rastet aus. Er haut dem Rivalen eins auf die Nase, rennt weg, wird von einem Auto angefahren, leidet aber vor allem an seinem gebrochenen Herzen. Es folgt viel tote Zeit. Dann geht’s zur Sache. Ein Zwischentitel informiert uns: 'Nobody gets out of here alive'. Der Flammenwerfer kommt zum Einsatz, ein Baseballschläger, ein Messer und eine 45er. Eine Tattoo-Maschine wird blutig zweckentfremdet – ein Zitat aus 'Love & a .45' (1994; C.M. Talkington), off-screen, gottseidank. Aber, ätsch: Alles nur gelogen, alles nur eine Jungsphantasie in der Jungsphantasie. Ein schlauer Kniff, mit dem der Film sich vorm Abdriften ins Prätentiöse rettet. Statt einer klaren Narration folgt nun die Auflösung der Handlung bis zur Stasis. Kaskaden von Bildern brechen in die Narration ein, miteinander konkurrierende Erzählungen kollidieren. Amerika wird zum 'Mad Max'-Territorium: Waste Land USA. Woodrow und sein Kumpel Aiden (Tyler Dawson) fahren durch die kalifornische Wüste, die tatsächlich wie Australien aussieht. Die Sonne brennt direkt in die Kamera. Sie trinken Bier und schießen mit einer Schrotflinte auf Verkehrsschilder. Am Meer verbrennt Woodrow Millys Sachen, um – vielleicht? – Kalifornien zu verlassen. Warum auch nicht: 'We never even go to the beach.'
Die Frauen spielen hier nur die zweite Geige. Milly versaut die Beziehung mit ihrem Seitensprung, Courtney (Rebekah Brandes), eine der wenigen Frauen, der das Drehbuch ein paar Zeilen zugesteht, ist nur ein Anhängsel der 'Helden'. Aber auch die Jungsfreundschaft besteht vor allem aus Saufen und Nichtstun. Produktiv sind die Protagonisten nur im Basteln ihrer Zerstörungsgerätschaften. 'Bellflower' hat fast nichts gekostet, gerade einmal lächerliche 17 000 US-Dollar laut IMDb. Das sieht man dem Film auch an. Die Dialoge wirken mitunter improvisiert, sind oft redundant. In die Breitwandbilder schleicht sich der Dreck und der Staub ein: Immer wieder finden sich Flecken im Bild und auf der Linse. Die Bilder der handgeführten Digitalkamera rutschen in die Unschärfe, wirken flach, die Farben oft übersteuert: Gelb und Grün erstrahlen toxisch, Rot blutet aus, Blau ist vor allem fahl. Irgendwie spielt 'Bellflower' tatsächlich nach der Apokalypse. Keiner der Protagonisten geht arbeiten, woher sie das Geld für Benzin und Schnaps haben, interessiert den Regisseur nicht.
'Bellflower' ist vielleicht kein großer Wurf, aber durchaus sehenswert. Es wäre interessant zu sehen, was Glodell mit einem moderaten Budget und einem besseren Drehbuch auf die Beine stellen kann. Immerhin hat er laut einer Interviewaussage schon eine ganze Reihe von Drehbüchern in Arbeit. Arbeitstitel: 'Tales from the Apocalypse.' Na dann: 'Long live Lord Humungus!'
Dieser Text ist zuerst erschienen in: Splatting Image # 89, März 2012