„I call it love“, heißt es im Popsong zur Liebe auf den ersten Blick, die Nathalie (Audrey Tautou) und François (Pio Marmaï) ereilt. Diese beginnt im Café an der Ecke, in hoffnungsvollem Grün und mit Aprikosensaft. Das „Glück ohne Donnerstage“ ist federnd leicht und beschwingt wie Nathalies Gang durch die leere Straße; der Liebe wachsen Flügel und der Zufall ist zunächst ein willfähriger Freund. David und Stéphane Foenkinos‘ Tragikomödie „Nathalie küsst“, für die David Foenkinos seinen eigenen, erfolgreichen Roman „La délicatesse“ adaptiert hat, beginnt wie ein romantisches Liebesmärchen aus einer vergangenen Zeit, imprägniert mit altmodischem Charme und französischer Liebesleichtigkeit. Da wird der Kniefall zum Heiratsantrag, wobei der Schlüsselbund als Verlobungsring dient, bis schließlich eine schwebende Kreisfahrt der Kamera das weiß gewandete Hochzeitspaar förmlich umarmt.
Doch so viel unbeschwertem Liebesglück ist keine Dauer beschieden. Die Brüder Foenkinos verklären es zum schwebenden Ideal, um ihrer bittersüßen comédie dramatique eine tragische Fallhöhe einzuziehen. Denn kurz darauf stirbt François völlig abrupt bei einem Unfall. Wenn Nathalie vor seinem Grab steht, vermittelt das Bild einen irrealen Moment. In subjektiver Perspektive kehrt sie zurück in die leere, gemeinsame Wohnung. Nathalie „verschließt sich in ihrem Leid“, will nur noch allein sein und mit niemandem reden. Um den emotionalen Druck zu lindern, entledigt sie sich gemeinsamer Erinnerungsstücke. Doch ihr Dilemma spiegelt sich fortan in dem Bedürfnis, „nach vorne zu sehen“ und zugleich „der Vergangenheit treu zu sein“.
Also stürzt sie sich in die Arbeit, wehrt immer beherzter das Liebeswerben ihres Chefs (Bruno Todeschini) ab und trifft endlich auf jenen Menschen, der die Perspektiven in mancherlei Hinsicht durcheinander wirbelt und Nathalie mit ihrer schmerzenden Vergangenheit versöhnt. Denn Markus (François Damiens) ist nicht nur ein leicht verschrobener Schwede und linkischer Außenseiter, sondern er wird von seinen Kollegen schlichtweg übersehen. Das ändert sich gründlich nach dem titelgebenden Kuss, der den steifen Sonderling regelrecht verzaubert und ihm das „Herz verdreht“. Zu „Get it on“ von T-Rex verwandelt sich ihm die Welt in eine Parade lockender Frauen. Immer wieder wechselt der Film die Tonlage zwischen grauer Realität und Tagtraum, zwischen Dialogwitz und visuellem Humor, den die Brüder Foenkinos mit zahlreichen Ellipsen und assoziativen Bildanschlüssen transportieren. Die retardierende Komödiendramaturgie gibt den so ungleichen Figuren genügend Zeit, um ganz klassisch zueinander zu finden und sich im Spannungsfeld zwischen Beruf und Privatleben gegen eine feindliche Umwelt zu behaupten. Doch bleibt es Nathalies rührender Großmutter vorbehalten, mit Unvoreingenommenheit und Menschenkenntnis Markus‘ „gutes Herz“ zu erspüren und damit auf Anhieb jene emotionale Kontinuität zu entdecken, deren sich Nathalie insgeheim längst sicher ist.