Totem

(D 2011; Regie: Jessica Krummacher )

Zombieland

Ein Ahnentier, ein Stammeszeichen der Sippe sei ein Totem laut Duden. Laut Wikipedia ist der Totem ein Schutzgeist in Gestalt einer Naturerscheinung. Er kann sich als Pflanze, als Tier, gar als Berg, Fluss oder Stein materialisieren. Im Debutfilm von Jessica Krummacher tritt dieser Schutzgeist seiner schutzbefohlenen Familie in Menschengestalt in Erscheinung, in der durchaus bezugsreichen Eigenschaft als Haushaltshilfe.

Weil sie Totem ist, bleibt es rätselhaft, woher die junge Fiona eigentlich kommt; ihre Gastfamilie sagt, so was wie sie bekomme man im Internet; und wenn Fiona an einem Tag behauptet, ihre Eltern seien tot und sie am anderen Tag mit ihrer Mutter telefoniert, der sie weismachen will, sie sei im Urlaub am Meer, so mögen solche Widersprüche die Familie und uns verwirren oder kriminologischen Ehrgeiz aktivieren, aber sie könnten auch einfach darauf verweisen, dass Fiona aus dem Nichts kommt und wieder ins Nichts gehen wird, dass sie Interimslösungen benötigt für eine Mission, dass sie nichts ist als ein Geist oder in ihrer Eigenschaft als Totem der Geist dieser hier im Reihenhaus hausenden Sippe ist, der gekommen ist, um zu helfen, denen, die vielleicht Hilfe nötig haben, diese aber eigentlich nicht annehmen wollen oder können.

Man könnte auch sagen, Fiona sei ein Spiegel der Verhältnisse, die in jenem Reihenhaus herrschen, wahrscheinlich deutsche Verhältnisse, und sie spiegelt sie den von ihnen Beherrschten, ganz einfach, indem sie widerspruchslos dient und das mitmacht, was ihr vorgemacht wird. Aber weil sie spiegelt, katalysiert sie und sie zieht den vorhandenen Hass auf sich, weil sie verdeutlicht und verstärkt: die vorhandene Einsamkeit/Depression.

Fiona hat in der internationalen Filmgeschichte mindestens zwei Geschwister, das eine ist Grace aus Lars von Triers „Dogville“, die, indem sie gut und gnädig zu den Menschen ist, das ultimativ Böse aus ihnen herausholt und das andere ist der Fremde aus Pasolinis „Teorema“, dessen „Heimsuchung“ wie die von Fiona sich auf eine Familie beschränkt, aber im Gegensatz zu der von Fiona alles auf den Kopf stellt. Bei Fiona ändert sich nichts an den Verhältnissen. Außer dass sie zuerst versucht wird, geliebt zu werden und dann abgesondert wird. Vielleicht liegt das daran, dass der Fremde von „Teorema“ nichts Geringeres als Gott himself ist und Fiona nur ein Aushilfsgeist. Ich tendiere eher zur Theorie, dass weder Jesus noch Fiona hier Abhilfe leisten könnten, denn Deutschland – und diese deutsche Familie mit ihrem ausgestopften Reichsadler an der Wand, ihrem versteinerten Deutschen Schäferhund im Wohnzimmer und ihrer Kegelbahn ums westfälische Eck, ihren gesenften Wurstspießchen und ihrem Kaninchenstall ist Deutschland – denn dieses von langer Hand verkorkste Deutschland scheint immun gegen Schutz und Liebe, Gott oder Hass, denn es ist, nach Jahrzehnten verweigerter Anamnese, immer noch das siechkranke Erbe des unverhüllten Bösen, welches Nationalsozialismus genannt wird.

Schön, dass es endlich (wieder) jemanden gibt, der diesen Dauerkollaps nachzumalen gewillt ist und schön, dass Fiona und Jessica Krummacher dabei so viel Empathie für die Täter/Täterkinder/Täteropfer mitbringen. Allein, diese Gnade scheint vergeblich(denn das Böse/der Übergriff/ die Gewalt und Vergewaltigung, das zeigt der Film, hat sich festgefressen), ähnlich vergeblich wie die des österreichischen Regiekollegen Ulrich Seidl. Im Unterschied zu ihm, und das macht „Totem“ zu einem empathischeren Film als z.B. Seidls „Hundstage“, bedarf Krummacher keiner theologisch grundierten Dichotomie ihrer Erzählung, sprich: wo Seidl die (österreichische) Welt als (durch Werner Herzog beglaubigte) pure Hölle inszeniert, mit Menschen, welche vollkommen verloren sind – und damit die Existenz eines Himmels geradezu postuliert (wenigstens den Wunsch/Glauben an einen Himmel provoziert), da geht Krummacher einen Schritt weiter, wenn sie zeigt: „Die Hölle sind wir“ und sich nicht auf Distanz begibt, weil es der „Geist“ des Films, Fiona, auch nicht tut. Weil wir mittendrin sind, ohne Gegenargumente, ohne Himmel, ohne Gott, ohne Ausweg, ohne die verborgene Möglichkeit eines Gebets, nur behaftet mit dem Fluch, den Fluch zu fühlen, ist „Totem“ so stark und in seiner Stilisierung so realistisch geworden.

[Link zu einer weiteren Filmkritik]

Benotung des Films :

Andreas Thomas
Totem
(Totem)
Deutschland 2011 - 86 min.
Regie: Jessica Krummacher - Drehbuch: Jessica Krummacher - Produktion: Martin Blankemeyer, Philipp Budweg, Jessica Krummacher, Timo Müller - Bildgestaltung: Björn Siepmann - Montage: Jessica Krummacher - Musik: Marina Frenk - Verleih: Filmgalerie 451 - FSK: ab 12 Jahre - Besetzung: Marina Frenk, Natja Brunckhorst, Benno Ifland, Alissa Wilms, Cedric Koch, Fritz Fenne, Dominik Buch
Kinostart (D): 26.04.2012

DVD-Starttermin (D): 26.10.2012

IMDB-Link: http://www.imdb.com/title/tt1515956/