Das ist der Stoff aus dem chick flicks sind: Muriel aus dem australischen Städtchen Porpoise Spit ist wohl das, was man ein hässliches Entlein nennt. Mit ein paar Kilos zu viel auf den Hüften, auffälligen Hautunreinheiten, scheußlichen Klamotten und einem Mund, der immer ein wenig zu weit offen steht, bestreitet Toni Collette als Muriel den ersten Teil des Films. Wie es sich im Kino gehört, haben die anderen für Leute, die so aussehen, nur Spott und Gemeinheiten übrig, auch wenn Muriel eigentlich recht gutmütig ist – vielleicht ein bisschen zu gutmütig und bestimmt auch ein wenig obsessiv dabei. So fängt ausgerechnet Muriel auf der Hochzeit einer vermeintlichen Freundin den Brautstrauß und muss sich dann erst mal rechtfertigen, was ihr denn überhaupt einfalle, sie habe ja nicht einmal einen Freund und werde wohl auch niemals einen kriegen. Demütigender wird es noch, als sie vor versammelten Gästen von der Polizei abgeführt wird, weil sie ihr neues Kleid (im Leoparden-Look!) angeblich im Supermarkt geklaut hat. Spätestens aber wenn die Clique aus Kleinstadt-Tussis, die Muriel bislang zumindest in ihrer Nähe geduldet haben, Muriel eiskalt abserviert, wünschen sich die Zuschauer_innen, dass sich das hässliche Entlein endlich zum schönen Schwan mausert und es ganz Porpoise Spit zeigt. Der Plan lautet: nach Sydney gehen und endlich heiraten.
Die Erwartungen an einen Film, der die Hochzeit schon im Titel trägt und dessen Kinoplakat eine glückliche Braut in Weiß zeigt, sind natürlich klar gesteckt. Und wenn man nicht gerade in einem Film von Todd Solondz sitzt, kann man getrost davon ausgehen, dass sich das Blatt für Figuren wie Muriel irgendwann zum Besseren wendet. Denn auch wenn Toni Collette hier Dawn Wiener aus „Welcome to the Dollhouse“ in Sachen Geschmacklosigkeit in kaum etwas nachsteht, ist Muriel natürlich kein Nerd, der konsequenterweise ja niemals zum Helden werden kann. Von Anfang an stehen die Zeichen in „Muriels Hochzeit“ auf Feel-Good-Movie; ein Soundtrack, der fast vollständig aus ABBA-Songs besteht, kann natürlich keine Tragödie untermalen. Die Eheschließung als Happy End und Lösung aller Konflikte scheint also unvermeidlich und eigentlich erwarten die Zuschauer_innen auch nicht viel mehr. Zu oft schon war der populäre Mythos von der Traumhochzeit auf der Leinwand zu sehen, die Ehe wurde naturalisiert und erscheint somit geradezu alternativlos.
Doch ganz so leicht macht es einem „Muriels Hochzeit“ dann doch nicht. Titel und Plakat sind nur Köder und der Film bestenfalls ein chick flick auf Abwegen. Wo in den typischen Hollywoodproduktionen, die ganz klar ein wichtiger Bezugspunkt für den australischen Überraschungserfolg „Muriels Hochzeit“ sind, straight und unterreflektiert von Traumhochzeiten als Erlösungsfantasie erzählt wird, da ist „Muriels Hochzeit“ auch ohne offensichtliche Homosexualität ein queerer Film. Die titelgebende Hochzeit, die mindestens so schaurig wie unterhaltsam ist, mag zwar ein Höhepunkt des Films sein, für Muriel ist sie aber definitiv der Tiefpunkt. Immer kann Muriel mit den Sympathien der Zuschauer_innen rechnen, egal wie schlecht sie aussieht und wie falsch sie sich verhält, der Film ist immer auf Augenhöhe mit seiner Protagonistin und lässt ihr selbst bei ihren erbärmlichen Träumereien zu seichter Popmusik ihre Würde. So wie „Muriels Hochzeit“ ohne die Standardware aus Hollywood nicht denkbar wäre, so fungieren Unterhaltungsmusik und abgedroschene Kinofantasien für Muriel als Überlebensstrategie und Quelle von Sinn und Bedeutung. Erst als ihr Traum von der eigenen Hochzeit auf Kosten aller Beteiligten in Erfüllung geht und sich als hohles Schauspiel offenbart, wird auch sie zu einer der hässlichen Karikaturen, die das Küstennest Porpoise Spit so zahlreich bevölkern und denen der Film erst spät ihre Portion Menschlichkeit gewährt.
In diesem Moment ist Muriel endlich eine von den anderen oder glaubt es zumindest zu sein. Doch den Zuschauer_innen ist sie hier fremd, genau wie ihrer besten Freundin Rhonda. Rhonda und Muriel freunden sich an, nachdem diese aus ihrer Clique verstoßen wurde, und natürlich ist Rhonda all das, was Muriel nicht ist. Sie ist selbstbewusst, dunkelhaarig und sexuell aktiv. Völlig unvorbereitet wird bei ihr allerdings Krebs diagnostiziert (und als Kennerin des Mainstreamkinos fragt Rhonda ihren Arzt, ob das darin liegt, dass sie so viel Sex hatte – und „Muriels Hochzeit“ ist clever genug, um ihn das verneinen zu lassen). Die Folgen für Rhonda sind Operationen und gelähmte Beine, aber sie bleibt die selbstbewusste Person, die sie vorher war und hat auch weiterhin Sex. Der Film zeigt auch kein sonderliches Interesse an der Bebilderung einer Leidensgeschichte. Dennoch ringt sie Muriel in einem Moment der Verzweiflung das Versprechen ab, bei ihr zu bleiben, damit Rhonda nicht auf ihre Mutter angewiesen ist und nach Porpoise Spit zurückkehren muss. Hier liegt das eigentliche Eheversprechen des Films, ein Schwur, der ganz ohne ABBA-Soundtrack, Hochzeitskitsch und institutionelle Billigung auskommt. Doch Muriel wird Rhonda für (irgend)einen Ehemann verlassen. Dieser Verrat und die daraus resultierende Rückkehr zur Mutter nach Porpoise Spit beschreiben Rhondas Schicksal treffender als kamerataugliches Siechtum im Krankenhaus oder der unbedingte Wille zum Extremsport, der erstaunlich viele Film-Rollstuhlfahrer befällt.
Auch wenn die Demaskierung von Heirat und Ehe als utopisches Moment ein zentrales Motiv im Film ist, die große Stärke von „Muriels Hochzeit“ ist die Einbettung seiner Protagonistin in einen komplexen sozialen Kontext. Zwar ist Muriel immer im Fokus der Geschichte, aber am Rande spielen sich nicht nur Familiendramen ab, in kräftigen Strichen wird auch das Portrait einer ganzen Kleinstadt gezeichnet. Dabei wird auch die Australianness des Films deutlich, der, obwohl er im Grunde eine universelle Geschichte in der Tradition Hollywoods erzählt, eindeutig in der australischen Kultur verwurzelt ist. So sind das grausame Patriarchat von Muriels Vater genau wie die krasse Geschmacklosigkeit von Porpoise Spit und seinen Einwohnern typische Elemente des australischen Kinos, die außerhalb Australiens schwer einzuordnen sein dürften. Muriels schlechter Stil markiert sie so auch nicht als Außenseiterin oder Nerd, sondern ist vielmehr ein Zugeständnis an ihr Umfeld, das der für ihren Kitsch berühmten Gold Coast nachempfunden ist. Die Tragik Muriels, die noch nicht wie später nach ihrer Flucht nach Sydney im Grunge-Look rumläuft, liegt nicht darin, dass sie nicht dazugehört, sondern in ihren verzweifelten Versuchen sich anzupassen.
Die Selbstfindung Muriels, die natürlich durch eine starke, unabhängige neue Freundin initiiert wird, wird dabei nicht gerade unkonventionell inszeniert, aber unterläuft dennoch gekonnt ärgerliche Klischees. Klar, am Ende sieht Toni Collette natürlich um einiges besser aus als zu Beginn des Films, aber der Film erlaubt sich immer wieder Widersprüche: Muriel mag zwar nach Grunge aussehen, hört aber weiterhin ABBA, wenn es ihr schlecht geht. Die Plastik-Tussis aus Porpoise Spit sind es, die Nirvana hören. Auch ist man beinahe schon erstaunt, dass das Dicksein Muriels nicht thematisiert wird und als Panzer gegen Frust oder für ironische Diätwitze herhalten muss. Die Anekdote, dass Toni Collette für ihre Rolle in sieben Wochen über achtzehn Kilo zugenommen hat, ist dabei natürlich trotzdem genauso albern und peinlich wie bei ihrer Kollegin Renée Zellweger. Ob das kurzzeitige Erdicken als Teil der Leistungsschau bald vollkommen durch authentischeres Fett wie das von Gabourey Sidibe und Mo‘nique ersetzt wird, bleibt abzuwarten.
Am Ende ist Muriel selbstverständlich glücklicher und besser, aber die Abgründe in ihrem Leben sind weiterhin da. Der Film lässt sogar die satirischen Überspitzungen, die die ganze Bitterkeit erst erträglich gemacht haben, für einen Moment beiseite und wird zu dem Drama, dass die ganze Zeit unsichtbar im Hintergrund ablief. Die Konfrontation mit dem herrischen Vater wird unausweichlich, aber sie bietet keinen Befreiungsschlag und keine tränenreiche Läuterung. Porpoise Spit bleibt fürs Erste Porpoise Spit. Gemeinsam mit Rhonda verlässt Muriel schließlich ihren Heimatort, ohne dass sich die Freundinnen mehr erkämpft hätten als einen Neuanfang in der Großstadt Sydney. Im Vorbeifahren verabschieden sich die beiden sichtlich erleichtert von dem Kleinstadt-Muff, den Malls und Diners und Touristen am Straßenrand. Dazu läuft wieder ABBA und irgendwie fühlt sich das im ersten Moment ein bisschen zu versöhnlich an. Aber Muriel hat es schon verraten: Das ist der Soundtrack für die schlechten Zeiten. Wenn geträumt werden muss.