Irgendwo in den Vororten Baltimores, die von der Putty Hill Avenue zerschnitten werden, stirbt der vierundzwanzigjährige Cory an einer Überdosis Heroin. In einem leeren Haus, in dem sich nur alte Zeitungen und ein Skateboard finden lassen. Ein Ort, der ein Niemandsland ist, dem jede Individualität abgeht. Wie Cory darin gelebt haben mag, einer, mit einer kaputten Biographie und einem Hang zur Selbstzerstörung, ist für niemanden vorstellbar. Corys Lebensumstände in den letzten Wochen verschwinden bereits in der Unschärfe der Vergangenheit. Und die Farben der Nacht sind nur noch verschwommen oszillierende Lichtpunkte, als Corys Schwester und ihre Freundin am Ende des Films von seinem letzten Aufenthaltsort davonfahren. Musik setzt ein.
„Putty Hill“ ist ein Independentfilm, der ansonsten völlig ohne Musik auskommt. Es ist ein fiktionaler Dokumentarfilm über die Hinterbliebenen eines Toten, seine Freunde und Angehörigen (gespielt von Laiendarstellern), die sich zu dessen Begräbnis einfinden. In langen Einstellungen werden mit Fragen aus dem Off Interviews geführt; die Schauplätze einer Jugend werden abgeschritten – der Skatepark, der Wald, die Badestelle am Fluss – um auf diese Weise einer Figur näher zu kommen, die anscheinend alle Personen des Films aus den Augen verloren haben. Um dieses Bild von ihm wieder scharf zu kriegen, oder zumindest: schärfer.
Im Gegensatz zu Porterfields früherem Film „Hamilton“ (2006), der in ruhigen, manchmal überlangen Einstellungen von einer jungen Familie und deren alltäglichen Verrichtungen und üblichen Spannungen zwischen den Personen an zwei Sommertagen in einem ruralen Vorort von Baltimore erzählt, ist „Putty Hill“ schneller geschnitten, abwechslungs- und facettenreicher. Durch die Gespräche mit einer Vielzahl an Personen aus den unterschiedlichsten Bezugsräumen ergibt sich sukzessive die spannende Konkretisierung eines Charakters, der sich bis dahin in seinen Unschärfen verlor. Jedoch gelingt es nie, die Persönlichkeit Corys eindeutig zu erfassen; Die Konturen bleiben diffus – wie seine Lebensumstände. So fallen die Aussagen der Interviewten zumeist auf sie selbst zurück und formen derart ein Panorama der Umgebung, ein soziales Koordinatensystem, das sich – auch in Bezug auf die Orte der Interviews – auf einer Straßenkarte abschreiten ließe: Film als soziale Landkarte.
„Putty Hill“ erzählt von einer Leerstelle, die als Gravitationspunkt des Films zum Zentrum der Protagonisten wird. Aus der Peripherie kommen sie zum Begräbnis zusammen, die Freunde und Kumpels, die zerbrochenen Familien ohne Vaterfiguren und berichten von einem Jungen namens Cory, der nur noch als fragmentarische Erinnerung auftaucht. Wenn also schließlich die Musik aus ist und das Bier alle, dann wird sich diese Gemeinschaft wieder in alle Winde zerstreuen, in ihre eigenen Leben und in ein trostloses Amerika hinaus, das den american dream schon längst ausgeträumt hat.
„Putty Hill“ ist bei Revolver / Filmgalerie 451 als DVD erschienen und bietet neben dem Hauptfilm noch das Debut „Hamilton“ (2006, 65 min). Der Film ist im Originalton und hat ausgezeichnete zuschaltbare deutsche Untertitel.