„Für mich waren die Zombies immer Sinnbilder der Revolution: Eine Generation frisst die andere auf“, sagte Horrormaestro George A. Romero einmal – und lieferte mit seinen Filmen die Probe aufs Exempel: Die kannibalistischen und noch recht uniformen Gestalten aus seinem frühen Schwarzweißfilm „Night of the Living Dead“ (1968) entwickelten sich im Laufe der Jahrzehnte zu Identitäten, die das Menschsein imitierten. Erfreulich deutlich wurde das in Romeros „Land of the Dead“ aus dem Jahr 2005.
Dem Zombiefilm fehlte es ja nie an Modellen, wenn es darum ging, den schlechten Zustand der menschlichen Zivilisation zu konstatieren. Die Rezeptionsgeschichte des modernen Zombies als soziale Metapher, die mit Romero ihren Anfang nahm, hat sich heute mehr denn je zu einer Dystopie konkretisiert: der Suche nach dem richtigen Leben im nunmehr völlig falschen; der verzweifelten Suche nach Humanität, wenn die Menschheit erst zur Minderheit geworden ist und die Überlebenden sich gegenseitig an die Gurgel gehen.
Im Vergleich zum Spielfilm hat die TV-Serie „The Walking Dead“ diesbezüglich die besseren Karten, zumal ihre Vorlage, die 2003 gestartete, überaus erfolgreiche amerikanische Comicreihe von Robert Kirkman, Tony Moore und Charlie Adlard als Endlosserie konzipiert ist. Im Prinzip wird darin nichts verhandelt, was man nicht schon von anderen Gattungsvertretern kennt, doch geschieht es hier eben weitaus ruhiger – und deswegen umso eindringlicher.
Der Auftakt der TV-Adaption (bei der u.a. Frank Darabont – dank einiger Stephen King Verfilmungen in Genre-Angelegenheiten sattsam erprobt – als Produzent verantwortlich zeichnet) erinnert an „28 Days Later“, an jenen Film, in dem Regisseur Danny Boyle 2002 die Zombies mit der physischen Konstitution von Hochleistungssportlern über England herfallen ließ: Da erwacht nach wenigen Minuten der wegen einer Schusswunde operierte, komatöse Polizist Rick Grimes (Andrew Lincoln) schweißgebadet im Patientenzimmer eines Krankenhauses. Die Blumen neben seinem Bett sind längst vertrocknet. Die Uhr über der Tür und die Geräte, an die sein Körper angeschlossen wurde, haben ihren Geist aufgegeben. In den verfallenen Fluren herrscht bedrückende Stille. Last Man on Earth? In „28 Days Later“ diktierte die Erzählökonomie des Spielfilms nach wenigen Minuten heillose Panik, ein Blick aus der Vogelperspektive auf die irritierte Hauptfigur musste bereits genügen, um alle Einsamkeit der Welt zu indizieren. Kurze Zeit später kam es zur ersten Flucht.
In „The Walking Dead“ – das gilt für den Comic und für die Fernsehserie – heißt das Prinzip „Entschleunigung“. Und dies nicht nur, weil die Zombies wieder etwas gemächlicheren Schrittes durch die menschenleeren Straßen schlurfen. Rick registriert langsam, dass die Welt dem Verfall preisgegeben wurde. Er stößt auf Leichenberge und verwesende Torsi, die grunzend durchs Gras kriechen, dann auch auf erste Überlebende und mit ihnen auf hilflose Erklärungsversuche für das Chaos ringsherum. Bis er schließlich am Stadtrand von Atlanta in einem winzigen provisorischen Camp seine Familie zusammen mit seinem besten Freund und früheren Kollegen Shane Walsh (Jon Bernthal) wiederfindet. Um diese Kerngruppe zentriert sich fortan das weitere Geschehen.
Mit der Verve verzweifelter Utopisten ziehen sie nomadengleich durch zivilisatorische Überreste, durch Orte, die längst kolonisiert worden sind, obwohl sie nicht mal mehr die Zukunft irgendeiner Herrschaft versprechen. Die Erzählung switcht hin und her, zwischen Melodram und Soap, Splatter und Ekel. Es geht um alte Ordnung und neuen Normen, um Verzweiflung und Zukunftsentwürfe, Sozialdarwinismus und menschliches Mitgefühl, um Rollenbilder und Lebensmuster, Glaube und Materialismus … Und natürlich nicht um „normalen“ sozialen Wandel, im Gegenteil, Thema ist die Erosion von Gesellschaft selbst: Was bedeutet diese Art von Leben für intime Beziehungen, für Familien und Sexualität? Wie steht es um die (gewissermaßen nivellierten) Unterschiede zwischen Generationen, wenn der Tod aller zur alles überschattende Prämisse geworden ist und die entfernte Zukunft gar nicht mehr denkbar? Welche Konflikte sind existenziell? Was heißt hier Vernunft?
Die Krise, in die die Figuren überführt werden, ist schleichend und bemisst sich kaum an den blutigen Kämpfen mit den monströsen Gestalten. Vielmehr thront über allem die Frage, wie sich eigentlich in einer Welt miteinander aushalten lassen soll, in der völlige Isolation und höchste Lebensgefahr die Alternativen sind. Man muss dem Comic hoch anrechnen, dass er die Krise weitaus radikaler abbildet als die Fernsehserie. Denn im Comic hebt das Chaos sogar die Gesetze der narrativen Ordnung aus den Angeln. So greift sich der Tod hier gleich haufenweise Hauptfiguren, meist wesentlich pessimistischere erzählerische Wege müssen deswegen beschritten werden – diese absolute Unvorhersehbarkeit verlangt eben auch vom Leser ständig neue Orientierungsleistungen.
Im Cross Cult Verlag erscheint jetzt der 14. Sammelband der Comicreihe, in dem, stets vorbildlich editiert, erneut sechs Einzelhefte zusammengefasst sind. Eine (leicht gekürzte) DVD- und Blu-ray-Box der ersten Fernsehstaffel präsentiert Entertainment One / WVG Medien; außerdem wurde jüngst eine Ausstrahlung im Free TV für das kommende Jahr von RTL II angekündigt. Die zweite Staffel läuft derzeit im Pay TV beim FOX Channel.
Dieser Text erschien zuerst in: Pony #69