Der Titel ist ja schon mal klasse! Was da so alles mitschwingt: Die völlige Heilung, der totale Krieg. Da wundert es dann kaum mehr, dass der Film eine deutsch-österreichische Koproduktion ist. Was auch gut ist: Der Film hat etwa drei Jahre lang keinen Verleih gefunden. Obwohl doch normalerweise jeder Kram einen Verleiher findet. Und was dabei dann wieder verwundert: Hat keinen Verleiher gefunden, wenn doch Sophie Rois mitmacht. Und Blixa Bargeld. Und noch so einige andere, die wissen, wie man sch(l)auspielt.
Der Opener ist sowieso der Reißer: Dieser eisengraue und smartbärtige Beschwörer des Präsens Bargeld erklärt uns innerhalb von Sekunden – vor einem rasanten Bilderkalender: Marx, Lenin, Mao – die Geschichte der Menschheit und erwähnt dann so ganz relaxed, was eigentlich unser wahres Problem ist, nämlich, dass wir uns nicht trauen, uns einzugestehen, dass wir einfach glücklich sein wollen. Wir selber stehen uns als Individuen im Weg, in uns selber liegt das Problem und dessen Lösung. Er aber mit seiner Firma SHIRVIA könne da schon Abhilfe schaffen. Das war leider natürlich wieder nur so ein Werbetrailer, und das alles ist leider nur wieder so ein Ausbeutungsding. Und wir sind leider wieder mal nicht in einem Crashkurs fürs wahre Leben, sondern in einem Film über gruppendynamische Praktiken, über deren Anhängerschaft und – in einem Film über Filmgeschichte: Dass Bargelds Oberguru den Namen Roman Romero trägt, soll uns schon ganz früh sagen, wohin der Hase läuft, denn George Romero war doch der, der die „Nacht der lebenden Toten“ gedreht hat. Dass, wenn die Therapie so richtig beginnt, eine krass debile Frau in Zeitlupe winkend uns auf dem abgelegenen Gutshof in Niederösterreich willkommen heißt, ebenso wie sie uns – so wir das Ganze lebend überstanden haben – uns wieder in slow motion winkend verabschiedet, ist mehr schon als ein Wink mit dem Lynchschen weißen Zaunpfahl aus „Blue Velvet“ und dass einen die Szenerie immer mehr an Tobe Hoopers „Texas Chainsaw Massacre“ erinnert, das liegt fast weniger an der dramaturgischen Entwicklung, der gemäß jeder irgendwann dran glauben muss, es liegt vor allem in dieser billig gedrehten und dadurch umso atmosphärischeren Todesnähe, die „Die totale Therapie“ dem „Blutgericht in Texas“ (deutscher Titel) trefflich nachgespürt hat.
Gut! Der Film weckt also Erinnerungen an schöne Zeiten. Der Mann (Regisseur Frosch) kennt sich aus mit dem Guten, Wahren, Schönen. Und er kennt sich aus mit allen möglichen Spielarten der Psychotherapie. Auch hier viel Wahrhaftigkeit. Plausible, auch in ihrer häufigen Überzeichnung leider noch plausible, durchschnittliche Problemfälle: Ein gesellschaftlicher Querschnitt, der sich therapieren oder unterhalten lassen möchte: Ein stets lustiges, junges Life-Style-Ehepaar, er Programmgestalter beim Fernsehen, sie der modebewusste, quirlige Wellness-Sonnenschein an seiner Seite. Ein zweites Paar, sie eine verzagte, stets zuviel (mit)leidende Frau mittleren Alters aus der „ehemaligen DDR“, er ein zynischer (oder realistischer?) Österreicher. Dann einer, der Bungee, Survival etc. schon hinter sich hat, und sich hier den ultimativen Kick holen muss, sowie ein netter Junge, der durch normale Therapie nur „kopfmäßig“ erreicht wurde, auch Gestalttherapie hat bei ihm fehlgeschlagen, weil er „eher so der körperliche Typ“ ist. Ein Manager, der nach einem Infarkt in den Ruhestand gegangen ist, klagt über „mangelnde Gefühle“, oder dergleichen und eine so gut wie stumme junge Frau, namens Gabi, sagt gar nichts, ihre Schwester (Sophie Rois) umso mehr, nämlich vorher, nämlich als sie ihr erzählt, dass ihre Allergien von ganz tief unten kommen und sie auf jeden Fall zu SHIRVIA gehen muss.
Schade, dass „Die totale Therapie“ zwei Sachen gleichzeitig machen will, nämlich einerseits die Erlebniswelt von psychotherapeutischen Kursen darstellen und andererseits ein deutsch-österreichisches Kettensägenmassaker draus machen. Auf diese Weise nämlich vergibt der Film sich die durchaus vorhandene Chance einer gelungenen Konsequenz. Denn Christian Frosch kennt sich wirklich gut aus mit gruppendynamischen Therapiesitzungen, und in mindestens drei Szenen kann man gebannt nachfühlen, was es z.B. für den zynischen Österreicher bedeuten muss, seinen ganzen Frust herauszubrüllen. Hier packt der Film und zwar sehr ernsthaft und überzeugend. Und hier ist er auch genauso deprimierend wie befreiend. Aber diese Wahrhaftigkeit der Psychodramen kollidiert immer stärker mit der Ambition des Splatterfilms, der den zweiten Teil nach und nach völlig okkupiert, denn dort sind die Charaktere bestenfalls nur noch verwaschen, nur noch Vehikel der Mordinstrumente, die ihr Ziel treffen müssen: Messer, Hände, Pump-Gun. Der zweite Filmteil ist nur noch konstruiert, die Abfolge von Morden oder zufälligen Toden der Patienten an ihren Therapeuten und untereinander ist lächerlich, da sie vor allem emotional mehr als unwahrscheinlich sind.
Hier unterscheidet sich dann „Die totale Therapie“ auch von dem „Texas Chainsaw Massacre“ darin, dass, so ungeheuerlich dessen Plot auch erscheint, letzterer Film nie einen Zweifel an der realen Bedrohlichkeit oder der bedrohlichen Realität seiner völlig kranken Richter über Leben und Tod lässt.
„Die totale Therapie“ aber ist deshalb sehenswert, weil der Film scheitert, und weil er scheitert an Vorgaben, die nicht auf Deutschland oder Österreich übertragbar sind, und dennoch für beide Länder relevant sind, weil sie inzwischen auch Bestandteil ihrer Kultur sind. Und er ist sehenswert, weil er wahre Elemente hat, die er nicht ambitioniert versucht zusammen zu bringen, und dennoch ausstellt. Er wirkt manchmal wie ein hilfloses Konglomerat aus zu vielen deutschen Filmen, dann kommt die Bergmansche Psycho-Dimension, dann die Klamotte, dann die surreale Lynch-Situation, die auch schön auf den Punkt kommt. Wenn jemand um Hilfe bittet und nur der Hund auf ihn gehetzt wird, dann ist das Lynch und Kafka genauso, wie es auch Deutschland oder eventuell Niederösterreich ist. Dann wird es wieder witzig, wenn die Rois ständig nicht merkt, dass Leichen ihren Weg pflastern, oder wenn die DDR-Frau aus Versehen entspannt in den Abgrund schreitet und auf dem Tennisplatz zerplatzt.
Vielleicht will Herr Fosch zuviel gleichzeitig und schafft deshalb nichts richtig, obwohl einiges sichtbar bleibt. Was der Film überhaupt nicht besitzt, ist Stil. Aber in seiner konsequenten Stillosigkeit ist er nicht schlecht. Und überhaupt nicht schlecht, sondern die reine Freude – und deshalb schon den ganzen Film wert – ist Sophie Rois, die leider überhaupt im Kino viel zu selten vor der Kamera steht, wo sie sich doch schön verewigen könnte, aber wahrscheinlich hat sie darauf überhaupt keinen Bock. Wirklich schade wäre das!