„Beate Klarsfeld wirkt sehr französisch, ganz pariserisch, und doch besteht sie darauf, eine gute Deutsche zu sein.“ Verbale Informationen über Dinge, die die Bilder eines Films ja auch ohne Kommentar zeigen könnten, trüben ein wenig die Freude an einem Kinodokumentarfilm über eine Frau, die in der Tat deutsche Geschichte geschrieben hat. Berühmt wurde sie für eine Ohrfeige, welche sie unter dem Ausruf „Nazi, Nazi!“ im Jahr 1968 dem damaligen Bundeskanzler Kurt-Georg Kiesinger verabreichte, um so, erfolgreich, auf seine bis dato kaum bekannte frühere NSDAP-Mitgliedschaft und auf seine Tätigkeit als Nazipropagandist hinzuweisen. Eine Maßnahme, die u.A. vermutlich seine Kanzlerschaft (als Nachfolger Ludwig Ehrhardts) auf drei Jahre beschränkte. Eine physischer Angriff auf einen Politiker, nicht wie eher heutzutage üblich, als Indiz geistiger Verwirrung, sondern als politischer Kommentar, als symbolischer Akt, lange vorbereitet und geplant. „Man muss durch etwas Illegales auf den größeren Skandal aufmerksam machen“, sagt die 1939 in Berlin geborene Klarsfeld heute dazu, die „als gute Deutsche“ nicht hinnehmen konnte, dass ein ehemaliger Nazi Bundeskanzler werden durfte.
Bezeichnend für die Arroganz und Borniertheit jener Vätergeneration: der Kommentar des Kanzlers: „Was sie hier getrieben hat, das … steht in Verbindung mit denen Radaugruppen, die wir in dem letzten Jahr in Deutschland an unseren Universitätsstädten und sonstwo erlebt haben …“ (Grammatikalische Fehler der wörtlichen Rede übernommen).
Der Angelpunkt des Films „Berlin-Paris“ von der Regisseurin Hanna Laura Klar bleibt diese Aktion vom 7.11.1968, für die die Klarsfeld, fast möchte man sagen „standrechtlich“, noch am gleichen Tag zu einem Jahr Gefängnisstrafe verurteilt wurde. Ein Urteil, das später in 4 Monate auf Bewährung umgeändert wurde; Klarsfelds Anwalt bei der Berufung war Horst Mahler, wie man auf Wikipedia erfährt, nicht aber im Film. Auch dass der Georg Elser-Preis für Klarsfeld, dessen Verleihung auch der Film beiwohnt, intern letztlich nicht legitimiert war, weil seine Entscheidungsfindung gegen die Statuten des Komitees verstieß, wird im Film nicht erwähnt, auch dabei fragt sich, warum eigentlich nicht?
Vielleicht, weil der Film das werden sollte, was er so eben geworden ist: Ein Portrait einer durchaus interessanten und lebendigen seit den Sechzigern in Paris lebenden Dame, das doch in seiner Art einer der Laudationen und Begegnungen der Biografierten mit respektvoll interessierten Kulturförderern ähnelt, die der Film summiert. Brüche, Ecken oder Kanten, offene Fragen bleiben nicht. Stattdessen einige Worte über die und von der Klarsfeld, deren schneller Redefluss mit französischer Intonation (der immer mal wieder durch ein „Bon“ paraphrasiert wird) sich manchmal zu überschlagen droht, manchmal Gedanken und Satzteile verschluckt und mitunter kaum Luft zum Denken lässt.
Nicht unerwähnt lässt der Film die Hauptarbeit von Beate Klarsfeld und ihrem Mann, dem französischen Juden und Anwalt Serge Klarsfeld: nämlich das Aufspüren und zur Verantwortung Ziehen von Nazi-Tätern, wie z.B. Klaus Barbie.
Von der Geschichte der Deportation des Vaters ihre Mannes in Nizza wird berichtet. Fakten, Daten, Hintergründe werden ordentlich präsentiert, nur in der Organisation derselben fehlt es manchmal an Schlüssigkeit, manchmal an dem rechtzeitigen Schnitt und Übergang. Auch taucht die Frage auf, mit welch lax gekleideter Frau die klassisch „französisch“ gekleidete Klarsfeld hier durch Berlin dort durch Frankfurt flaniert, um mitunter gar Kontakt zum Bürger zu erheischen: Es kann niemand anderes sein als die Regisseurin, die sich uns nicht vorgestellt hat, aber deutlich Raum greift, um hier und da die Klarsfeld vorzustellen und um ihre zu Porträtierende an die Hand zu nehmen – eine souveräne und starke Persönlichkeit, die nichts weniger nötig hat, als an die Hand genommen zu werden.
———
Fußnote (also, von da, wo es manchmal riecht): Beate Klarsfeld, eine veritable deutsche Heldin, wurde zweimal für das Bundesverdienstkreuz vorgeschlagen, zweimal wurde die Verleihung vom jeweils zuständigen Bundesaußenminister abgelehnt. Der eine – okay – war Guido Westerwelle, der andere unser ehemals größter grüner Held Joschka Fischer, der seit einiger Zeit (RWE, BMW, SIEMENS) überhaupt nur noch höheren Zielen zufliegt: Seit September 2010 berät Fischer u.A. den Handelskonzern REWE! Ein wirklich großes Signal zur Vergangenheitsbewältigung, ein Sühnezeichen, ein Kniefall in Warschau, gell Joschi?