Die Studentenunruhen in den sechziger Jahren in Japan, vor allem in Tokyo, bildeten den historischen Kontext, vor dem Haruki Murakami seinen Roman „Naokos Lächeln“ (1987) ansiedelte. Dass der Roman zu einem Weltererfolg wurde, lag allerdings nicht an dessen politischen Implikationen, sondern an der für viele Leser griffigen Darstellung einer fragilen adoleszenten Liebesgeschichte zweier, oder eigentlich dreier einsamer Seelen, die in diesen turbulenten Zeiten aufeinander zu-, und voneinander wegdriften. Tran Anh Hungs Adaption des Romans bleibt ganz bei seinen Figuren, die mit einem schweren Trauma fertig werden müssen: Urplötzlich und scheinbar grundlos hat sich der beste Freund das Leben genommen.
Yasuzo Masumura, einer der großen Regisseure der japanischen Nouvelle Vague, hatte schon in seinem großartigen und hier leider viel zu unbekannten Film „A False Student“ (1960) schon eine ganz ähnliche Geschichte vor demselben Hintergrund erzählt; allerdings deutlich weniger gefühlig, politischer, gesellschaftskritischer und mit einer lakonischen Ruppigkeit, bei der man spüren konnte: hier geht es um was.
In Tran Anh Hungs elegantem und ausufernd üppigem, zweistündigem Film geht es vor allem um Bilder. Um schöne Bilder. Hier reiht sich eine sehenswerte Komposition an die andere, und nur selten gerät ihm ein prätentiöser Ausrutscher dazwischen (etwa, wenn Watanabe im Schwimmbad einsam vor einer Mauer steht, bedeutungsschwanger links außen an den Bildrand gelehnt; oder auch, wenn man die wogenden, saftig-grünen Wiesen um das Sanatorium bewundern darf, in das sich die Protagonistin zurückgezogen hat, und man plötzlich rechts oben im Bildwinkel auf einem Pfad Watanabe und Naoko entdeckt, passend mit weißen T-Shirts, en miniature, sich durch ihr Wiedersehen jagend). Die Revolte der Studenten, die stets in Massen (-Körpern) auftreten, interessiert den Regisseur allerdings wenig – sie dienen lediglich dazu, um Watanabes Außenseiterstatus zu illustrieren. Denn Watanabe ist Literat, der sich mit seinem Buch zurückzieht. Ganz anders jedoch die Revolte von Naokos Körper – diese interessiert ihn sehr. Und so darf man bis zur Unaushaltbarkeit immer wieder den sexuellen Problemen junger Liebender lauschen, die trotz aller verhuschter Zurückhaltung scheinbar offen darüber sprechen, wieder einmal „nicht feucht“ zu werden.
Gebetsmühlenartig werden Naokos Feuchtigkeitsdefizite durchgesprochen, bis man sich als Zuschauer vor Fremdscham kaum mehr im Sessel halten kann. Die deutsche Synchronisation tut dazu ihr Übriges: Auch in „Naokos Lächeln“ werden asiatische Frauen bevorzugt von Piepsstimmen synchronisiert, was für den, der sich in den O-Tönen des Ostens auskennt, eine grobe Verzerrung darstellt. Und dann offenbart sich ein weiteres Problem des Films: die häufig sehr öden und platten Dialoge Murakamis. So gut es ihm gelingt, die Gefühle der Einsamkeit, der Isolation in der Großstadt und der generellen Verunsicherung seiner jugendlichen Helden darzustellen, so deutlich wird vielerorts, dass seine Figuren einfach nichts zu sagen haben. Hier herrscht der totale communication breakdown. Immer wieder bleiben sie in den allerunpersönlichsten Plattitüden stecken, sodass man sich durchaus fragen darf, woher die Anziehung zwischen den Geschlechtern überhaupt rührt. Viele Entwicklungen des Plots wirken lediglich behauptet, da kann die Kamera den Figuren noch so dicht auf den Leib rücken.
Dieser enorm ruhige und langsam erzählte Film gerät zu einer Aneinanderreihung wunderschön und genüßlich anzuschauender Szenen, deren emotionaler Zusammenhalt sich nicht nachfühlen lässt, und deswegen schlicht fremd bleibt. Eine Nähe zu den Figuren aufzubauen, ist kaum möglich, und wenn man also zwangsmetapoetisiert als Außenseiter vor dem Film sitzt wie der Protagonist vor seinem Leben, dann wünscht man sich, der Film nähme alsbald sein stilles Ende. Eine Folterbank bleibt eben eine Folterbank. Auch wenn sie schön anzuschauen ist und exotisch daherkommt.