Augenzucker aus Hollywood, kandiert und glasiert, glitzernd und strahlend: Kenneth Branagh, bekannt als Theatermime und für seine Kinoadaptionen von Shakespeare-Stücken wie „Henry V“ (1989), „Much Ado About Nothing“ („Viel Lärm um nichts“; 1993) und „Hamlet“ (1996), hat sich an einen Superheldenfilm gewagt. Und, wider Erwarten ist ihm das ziemlich gut gelungen.
Dabei hat sich der 51-jährige Brite den wohl abstrusesten Helden aus dem weitverzweigten Marvel-Comicuniversum ausgesucht: den hammerbewehrten, nordischen Donnergott Thor. Verkörpert wird dieser von dem australischen Schauspieler Chris Hemsworth („Star Trek“; 2009), der blond, blauäugig und muskelgepanzert wie ein Bilderbucharier wirkt. Nach einer visuell überdeutlich an Leni Riefenstahls Paraden aus „Triumph des Willens“ (1935) angelehnten, aber gescheiterten Inauguration zum König wird Thor wegen seines aufbrausenden Temperaments von seinem Vater Odin verstoßen (Anthony Hopkins – noch ein Brite, der, wenn er nicht gerade als kannibalischer Serienmörder reüssiert, vor allem als Bühnenschauspieler und mit Literaturverfilmungen bekannt ist). Aus Asgard verbannt, verschlägt es unseren Helden dann nach Amerika. Und obwohl der Film im New Mexico der Gegenwart angesiedelt ist, zitiert er natürlich in fast jeder Einstellung 50er-Jahre-Americana wie die Kleinstadt mit Diner, Bar, Dorfschönheit und Wüste drum herum. Der Runninggag, den Branagh daraus entwickelt, dass der tumbe Heros im modernen Amerika wie ein debiler Wrestler oder ein stumpfsinniger Redneck wirkt, ist allerdings auch bei der x-ten Wiederholung nicht sonderlich innovativ. So weit, so vorhersehbar.
Was Branagh aber umso besser gelingt, das ist die Parallelhandlung in Asgard und die Geschichte von Thors Vertreibung aus dem Götterreich, die uns zu Beginn in einer langen Rückblende erzählt wird. Ist hier erst einmal die ärgerliche Riefenstahl-Reminiszenz abgehandelt und die abstruse Prämisse des Films vergessen, dann kann man „Thor“ durchaus als das genießen, was er in erster Linie sein will: visuell opulentes Überwältigungskino, das selbst das mittlerweile totgerittene und für Produktionen dieser Größenordnung obligatorische 3D effektiv einsetzt. Der eigentliche Star des Films aber ist weder das stereoskopische Format, der Superheld oder seine Gegner, sondern die in der Krone der Weltenesche Yggdrasil gelegene, in komplementärfarbigen Tableaus von Goldgelb und Blau getaucht Götterwelt Asgard, wo die aufbrausenden Göttersöhne hausen. Diese Fantasiewelt ist eine wahre Augenweide: mit Ansammlungen goldener Türme, die wie futuristische Orgelpfeifen wirken, allenthalben glänzenden Oberflächen und einem glitzernden Sternenhimmel; zusätzlich eine gigantische Brücke, die dunkel funkelt und aus einem Material gefertigt ist, das wie eine Art elektrisierter schwarzer Marmor aussieht. Über diese Brücke gelangen die Helden in die Gegenwelten; zu den Menschen oder in die Welt der Frostriesen von Jotunheim, die, so will es der Plot, Thors Erzfeinde sind. Eye candy nennen die Amerikaner so etwas: Nichts für den Kopf, sondern was fürs Auge.
Für solch einen irrwitzigen Bombast scheint paradoxerweise gerade ein kühler Brite wie Branagh der ideale Regisseur zu sein. Immerhin war es einer seiner Landsleute, der den bis heute besten Fantasyfilm überhaupt gedreht hat: John Boorman, der mit seinem rauschhaften „Excalibur“ 1981 versuchte, die Artus-Legende noch einmal ganz ironiefrei zum Leben zu erwecken. Doch während der Mythopoet Boorman die Artus-Sage von späteren christlichen Anverwandlungen befreit und zum Schwanengesang auf das Heidentum und die alten Naturgötter umdeutete, da beschreitet Branagh den diametral entgegengesetzten Weg: Er christianisiert Thor und die nordische Mythologie. So wirkt der Donnergott eher wie der blond-blauäugige Jesus unzähliger Bibelverfilmungen, sein gütig-weiser Vater Odin mit dem weißen Rauschebart wie eine Mischung aus den kitschigsten Gottesbildern des Christentums und dem Weihnachtsmann. Auch Loki (Tom Hiddleston), hier Thors (Stief-)Bruder, ist nicht mehr der Trickster der Mythologie, sondern wird zum gefallenen Engel Luzifer inklusive der nach hinten gebogenen Hörner, die seinen Helm zieren. Hinzu kommen Anklänge an die durch das Kino wieder und wieder geplünderte griechische Mythologie, etwa wenn Thor auf der Erde wie einst Steve Reeves’ Herkules in Pietro Franciscis „Le fatiche di Ercole“ („Die unglaublichen Abenteuer des Herkules“; 1958) gute Taten vollbringt und mit einer Menschenfrau (Natalie Portman) anbandelt. Das Ergebnis ist Camp in höchster Vollendung, und gerade die prinzipielle Lächerlichkeit dieses Sammelsuriums an Absurditäten bereitet dem befreienden Lachen seinen Weg. Selbst eine Referenz an „Richard III.“ findet hier ihren Platz, wenn der stoische Held in ein Zoogeschäft stürmt und „A horse, I need a horse!“ deklamiert. Warum Thor überhaupt (akzentfrei) Englisch spricht, ist wie die anderen Logiklöcher des Plots darüber schnell vergessen. Und da Branagh nicht den Fehler macht, den Bogen zu überspannen und eine Actionszene an die andere zu reihen, sondern stattdessen auf jeden Krawall eher kontemplativen Unsinn folgen lässt, kommt man auch nicht völlig erschlagen, sondern im Großen und Ganzen ziemlich gut gelaunt aus dem Kino.