Ganz Hollywood freut sich über diesen Off-Hollywoodfilm, denn erstens geschieht es einem glücklosen Drehbuchautor (Nicolas Cage) ganz recht, wenn er sich zu Tode säuft, und zweitens sorgt der Filmautor Mike Figgis ('One Night Stand'), der so erfolgreich die Aussteigergeschichte verfilmte, für neues Blut, gern aus Europa, sehr gern auch von anderen Medien, Hauptsache Hollywood selbst ist es, das lutscht.
Das, was bei uns das Publikum in Scharen aus dem Kino treibt, gibt in den USA den definitiven Kick: der Autorenfilm nämlich. Geschwind in einen Mainstreamfilm umdefiniert und mit Oscars garniert, dann konsumiert auch das Europublikum den US-Autorenfilm, it sucks, Leute. Der Plot – ach ja, der Alkoholiker deliriert in den Armen der Prostituierten Elisabeth Shue dem Tod entgegen, das war’s – bringt es offensichtlich nicht, wohl aber die Autorität, mit der der Brite Figgis den Film zu seiner persönlichen Angelegenheit gemacht hat. Er blies auf der Trompete, bediente die Keyboards, komponierte die Musik, schrieb das Drehbuch und inszenierte den Film, in dieser Reihenfolge. Auch lässt der Musiker, Performance-Künstler und Off-Schauspieler Figgis im Off seinen Freund Sting ('Angel Eyes') singen, und zwar zu Bildern, die eindeutig nicht im Studio aufgenommen sind. Die Szenerie ist nicht 'richtig' ausgeleuchtet, die Schärfentiefe mangelhaft, auch wackelt das Bild 'unprofessionell', dafür aber stürzt sich die Handkamera begierig ins Gewiesel und Gewimmel von Straßen und Spielsälen. Statisten und Komparsen hatten sich unters angestammte Volk gemischt, die Wahrheit wird outdoors gefunden, und der Todesfilm ist voll prallen Lebens.
Die große Liebesgeschichte wird nicht vom Plot erzählt, seht Euch das an, Ihr Anhänger des narrativen Films! Was ist da alles eingeflossen: das Dokumentarische ins Fiktionale, der Realismus in die Phantasie und das Lettische in den Sprachschatz des Julian Sands. Ja, dieser hat extra für seine Winzrolle (Proletensohn aus Riga steigt zum Zuhälter in L.A. auf) russische Filme studiert und 15 Sätze Russisch (?!) gelernt.
Andererseits sind es Kampagnen für VW, Volvo und British Airways gewesen, die dem englischen Cutter John Smith Preise eingebracht haben. Kameramann Declan Quinn ist für seine Werbefilme (British Petroleum), Musikvideos (U2) sowie für seine Aidskampagne (MTV) berühmt, während der österreichische Ausstatter Waldemar Kalinowski auf Forschungsarbeiten in Warschau zurückgreifen kann. Modisch ist Großbritannien in 'Leaving Las Vegas' Kult, denn der sympathische Nuttenlook – Korsetts, hochhackige Schuhe, Schlangenleder – stammt aus dem Fundus unserer großen europäischen Designerin Vivienne Westwood. Und produziert ist der ganze Film von der Eurofirma Lumiere, die erfolgreich nach Hollywood expandiert hat. – Ja, alles ab nach drüben. Leaving Europe. Und wo bleiben wir hier, mit unseren eigenen Kreationen? Bluten wir jetzt aus? Muss die Redaktion ein Sorgentelefon einrichten? Greift wer zur Flasche?
Dieser Text erschien zuerst in: Konkret 05/1996