Dass ARD-Programmdirektor Günter Struve das noch erleben darf! Der Zweiteiler »Die Flucht«, der am 4. und 5. März 2007 zur besten Sendezeit ausgestrahlt wird, sei der erste deutsche Fernsehfilm, der sich rein fiktional (aber dennoch höchst authentisch!) mit Flucht und Vertreibung der Deutschen aus den Ostgebieten befasse. Wollte früher manch einer den Vertriebenen jegliche Entschädigungsansprüche »mit Verweis auf eine angeblich historische Kollektivschuld der Deutschen« verweigern, sei die Aufarbeitung des Geschehenen heute »nicht mehr so ideologisch belastet«. Auch Regisseur Kai Wessel hätte vor 15 Jahren nicht im Traum daran gedacht, sich mit diesem »damals als revanchistisch angesehenen Thema« auseinanderzusetzen. Über das nicht mehr als revanchistisch angesehene Thema hat Wessel nun einen nicht unrevanchistischen Film gedreht, der »konsequent« aus der Perspektive der leidenden Zivilbevölkerung erzählt sei. Beratend zur Seite standen die Historiker Manfred Messerschmidt (»Der Exodus verwandelte Einheimische, Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene gleichermaßen in Flüchtlinge.«) und Peter Steinbach (»emotional besonders schmerzhaft erinnerte Ereignisse«). Auf der Pressekonferenz zum Film präsentierte man auch einen damals dreijährigen »Zeitzeugen«. Der erinnere sich »aufgrund der Tagebuchaufzeichnungen seiner Mutter sehr genau«.
Mit Immenhofschen Pferdeidyllen und Guldenburgschen Adelskapriolen beginnt das Drama um die beherzte Gräfin von Mahlenberg (Maria Furtwängler), die den Flüchtlingstreck von ihrem ostpreußischen Gut über das gefrorene Haff führt. Sie stellt sich nicht nur schützend vor Deserteure und Nazigegner, am Ende verguckt sie sich ganz unstandesgemäß in einen französischen Zwangsarbeiter. Nur dem Russen ist eben doch nicht zu trauen. Die naiven Dienstmägde, die mit der Losung »Wenn der Kriech aus ist, sind die Russen auch nur Menschen« auf den Lippen kehrt machen, werden von einer Horde Un(ter)menschen aus der Roten Armee eines Besseren belehrt, während die flüchtende Christengemeinschaft unter blaublütiger Führung als Hort der Humanität erscheint.
»Hitlers letzte Opfer« (so der Titel einer Dokumentation, die die ARD im Begleitprogramm zeigt) sind offenbar nicht nur die Vertriebenen im Allgemeinen, sondern die Aristokraten ostpreußischer Provenienz im Besonderen. Da gab es noch »Werte wie Verantwortung, Fürsorgepflichten und jahrhundertealte gewachsene Familienstrukturen und -bande«, erklärt Gabriele Sperl, die zusammen mit der bewährten Firma Teamworx (»Dresden«) produzierte.
»Ein bisschen etwas von dieser untergegangenen Welt« hat während der Dreharbeiten auf La Furtwängler abgefärbt. Als ihr in den Reitstiefeln und Lederhandschuhen alles eingefroren sei, wäre sie am liebsten aus dem Treck geschert, um sich aufzuwärmen. Doch dann sei ihr die historische Verantwortung bewusst geworden. Und wie die Gräfin hat sie ihre eigenen Interessen dem Wohle der Allgemeinheit untergeordnet.
Dieser Text erschien zuerst in: Konkret 03/2007