Im Kino kommen die Bilder der Postapokalypse (und es gab sie in den letzten Jahren in mannigfaltigen Formen zu sehen) fast nie ohne einen Restfunken humanistischer oder reaktionärer Hoffnung aus: auf Zivilisationen, die sich irgendwo neu formieren, auf lebenswerte Orte, die sich hinter dem Schutt verbergen, auf die Heilkraft der Wissenschaften, die vom gegenwärtigen Elend Erlösung versprechen oder auf neu justierte Kultur, die wenigstens mit Anstand durch die Trümmer leitet (und in jüngeren Produktionen, nicht nur bei Roland Emmerich, so unverfroren religiös daherkommt, dass man meint, sie benötigten den ganzen Zerstörungsapparat nur deshalb, um dem Christentum einen zweiten, hoffentlich erfolgreicheren Run zu wünschen).
Kurz gesagt: Ohne die Aussicht auf irgendeinen Sinn, der das Überleben legitimiert, scheint jeder Schritt durch die zivilisatorische Wüste hinfällig. Das ist in John Hillcoats kongenialer Verfilmung des gleichnamigen, Pulitzerpreis-geadelten Romans von Cormac McCarthy (dessen Prosa zuletzt dank der Coen Brüder in „No Country for Old Men‘ eine bemerkenswerte Filmumsetzung erhielt) ein wenig anders. Hier ist das Überleben bereits das verlängerte Sterben, wenn der Vater (Viggo Mortensen) mit seinem Sohn Nordamerika Richtung Süden durchquert und ihm angesichts der weltweiten, farblosen Ödnis, die weder Pflanzen noch Tiere beherbergt, auch nicht so recht erklären kann, weswegen das Dasein noch lohnt. Vor zehn Jahren ereignete sich eine globale Katastrophe, der Sohn (Kodi Smit-McPhee) kam erst nach ihr zur Welt. Die Mutter (Charlize Theron) entschied sich nach der Geburt für den Suizid, zeigt eine Rückblende. Es gab keinen überraschenden Fund, regungslos wurde von ihr die Selbstmordabsicht kommuniziert, bevor sie sich in den Wald zum Sterben begab. Auch das Flehen des Mannes wenigstens noch einen Tag zu warten, hielt sie nicht ab.
Die Frage nach der Sozietät, dem moralisch integren Verhalten in einer Welt, in der die wenigen marodierenden Menschen aus Verzweiflung zu Kannibalen werden, wird schnell zum jede Sequenz implizit mitbestimmenden Leitmotiv. Bereits nach zehn Minuten muss der Vater seinem Sohn lakonisch erklären, dass die aufgeknüpften Toten in einer Scheune ganz sicher nicht ermordet wurden. Die anschließenden Gespräche über den Sinn und Unsinn des Überlebens gleichen einem paradoxen Generationenkonflikt: Der Vater verzweifelt ob seiner Erinnerungen an die präapokalyptische Zeit und gleicht sein Handeln den Bedingungen des Elends an; der Sohn besitzt keine Erinnerungen, kann aber das mordende Treiben der „bösen Menschen“ nicht verstehen, zumal die good guys nur wenige Schritte von den bad guys trennen. Survival of the fittest bedeutet hier nicht, heroisch und moralisch zugleich mit der edleren Grobschlächtigkeit den zivilisatorischen Kollaps zu überstehen, sondern beständig die Frage zu verhandeln, wie ein Leben ohne Humanität überhaupt funktionieren soll. Wenn der Vater vor- und fürsorglich seinem Sohn erklärt, wie ihre Pistole, die nur noch zwei Patronen fasst, benutzt wird, dann dient diese Instruktion nicht der Selbstverteidigung. Was die postapokalyptische Welt bereit hält, ist ein buchstäbliches Vegetieren unter dem Diktat der toten Erde. Der Boden spuckt Feuer, immer wieder entwurzeln sich abgestorbene Bäume, der graue Himmel lässt nur ein dumpfes Licht auf die von Ascheflocken und verrosteten Autowracks übersäten Straßen. Dazwischen vollzieht sich auf unspektakuläre und verstörend tumbe Weise die Reise durch ein ergrautes Land. Die Dramaturgie ist geknüpft an das Fortbewegen: Was die Zwei in den Süden zieht, wissen sie selber nicht, und die Konfrontationen mit feindlichen Menschen sind bedrückend, aber aus erzählerischer und quantitativer Sicht eher Randerscheinungen. Im Nichts geschieht nicht viel. Die Bilder erzählen nichts von der Kontemplation des Untergangs, jedoch alles von der Errettung der Moral in einer auch sozial ausgelöschten Welt. Selten zuvor kam Nihilismus in einem Film pietätvoller daher.
Diese Kritik erschien gekürzt zuerst in: Konkret 10/2010