Im Schlachthof arbeitet er, teilt Schweinehälften. Dick ist er, lange, blondierte Haare hat er, alt ist er, mit 60 wird er jetzt ins Rentenalter entlassen: es ist Gérard Depardieu, bei dem nicht nur die Haartracht ungewöhnlich erscheint in diesem Film. Er spielt einen Dummling, einen ungehobelten Klotz, einen sanften Riesen. Dies sei die Rolle, die ihm am meisten entspreche, hat Depardieu auf der Berlinale gesagt, so sei er in Wirklichkeit, so sehe er sich selbst: auf dem Motorrad unterwegs, angetan mit einem langen Männerrock, irgendwo zwischen Kaftan, Talar und Schamanenkleid. Benoît Delépine und Gustave Kervern inszenieren ihn ein bisschen wie den „Wrestler“ von Aronofsky, er ist ebenso verloren mit seinem Leben; nur dass er nicht aus Anabolika-Muskeln besteht, sondern aus schwabbeligem Fett.
Depardieus Figur Serge, genannt Mammuth, ist unterwegs durch Frankreich auf seinem alten Münch-Mammut-Motorrad von 1973, auf der Reise in eine Vergangenheit, in der er auch schon nie wirklich zur Gesellschaft dazugehörte. Gelegenheitsjob hier, Gelegenheitsjob da, meist schwarz: da ist es schwierig, all die erforderlichen Belege für die Rentenansprüche aufzubringen. Und eigentlich interessiert es Mammuth auch nicht sonderlich, mehr und mehr gibt er sich dem Fahren, dem Draußen-Sein hin: das Daheimsitzen mit dem 2000er-Puzzle, das er zum Renteneintritt geschenkt bekommen hat, das Einkaufen, das Nichts-zu-tun-haben hat ihm eh gestunken. Ja: er entwickelt jetzt so was wie Persönlichkeit, einen eigenen Willen. Wenn man so will. Wenn man bei diesem Film überhaupt von Entwicklung sprechen kann.
Vielmehr reihen Delépine und Kervern Szenen aneinander, Szenen, die weniger von der Handlung als vom großen Ganzen des Films her aufeinander aufbauen. Anders als in ihrem vorherigen Film „Louise Hires a Contract Killer“ geht es hier nicht um eine – wenn auch verdreht vorgebrachte und grotesk dargestellte – wirkliche, handgreifliche politische Aussage wie das Killen von Bonzen, denen die Arbeiter egal sind; hier geht es um ein Lebensgefühl, um ein Leben, das nie wirklich, von sich aus, geführt wurde. Da trifft Mammuth einen Metallsucher mit Metalldetektor am Strand, der ganz offenbar nichts mit sich anzufangen weiß und sich dennoch eine genaue Philosophie, eine Methode des Schatzsuchens, der nie erreichbaren Utopie zusammengebastelt hat. Und plötzlich wird klar, was für ein Ding Mammuth selbst da eigentlich die ganze Zeit im Rucksack rumgetragen hat. Er trifft alte Bekannte, die ihn mehr oder weniger direkt abblitzen lassen; er übernachtet auf einer Bushaltestelle und muss kleine Kinder ertragen: Mama, da liegt ein stinkender Mann! Sollen wir die Polizei rufen?
Durch den Film spukt zudem Isabelle Adjani, sie war Serges Geliebte und ist auf dem Motorrad umgekommen – ein weiteres Trauma, das sein verkümmertes Leben bestimmt hat, das ihn stets begleitet: immer wieder steht sie da, blutüberströmt und wunderschön…
Am Ende findet Serge so etwas wie Erlösung, indem sich der ohnehin rudimentäre Handlungsfortgang vollends verzettelt. Er will seinen Bruder besuchen, findet aber nur seine Nichte vor, die sich Miss Ming nennt und von der Künstlerin Miss Ming gespielt wird. Naive, faszinierende Kunstwerke stellt sie zusammen und in ihrem Garten aus, Statuen, zusammengekloppt aus Fundstücken, Gebilde, die direkt ihrem Denken entstammen; wobei sie stets als einfach gestrickt, ja: etwas debil dargestellt ist, außer wenn es um ihre eigenwillige künstlerische Ausdruckskraft geht. Bei ihr findet Mammuth so etwas wie Ruhe; und sein ungefähr gleichaltriger Cousin ist auch da, mit ihm legt er sich ins Bett, und wie damals, vor 45 Jahren, wichsen sie sich gegenseitig.
Das ist eines dieser vielen unvergesslichen Szenen des Films, die in ihrer skurrilen Absurdität das Leben von Serge präzise beschreiben, sein Lebensgefühl in wenigen Kameraeinstellungen genau ausdrücken. Lange vorher haben wir ihn einmal beobachtet, mit zwei ausgestreckten Fingern am Fenster, und wir wissen nicht, was er tut, bis ein Auto vorbeifährt… Am Ende, da entfaltet er sich, da geht er tatsächlich ein bisschen aus sich heraus, aus dem unterdrückten Leben, das er bisher geführt hat; hat er vielleicht tatsächlich was gelernt auf dieser Reise durch sein Leben, durch den Film?