Ein Gespräh mit Thomas Arslan über seinen neuen Film „Im Schatten“ und das Verbrechen als Existenzform.
Wolfgang Nierlin: Warum haben Sie nach einer Reihe persönlicher Filme mit Ihrer neuen Arbeit „Im Schatten“ einen Genrefilm gedreht? Was reizt Sie am Kriminalfilm? Und gibt es entgegen dem ersten Anschein auch Verbindungen zu Ihrem früheren Werk?
Thomas Arslan: Zum Einen wollte ich mich vom allzu Persönlichen entfernen, zum anderen fasziniert mich das Krimi-Genre sowohl im Film als auch in der Literatur schon ganz lange. Daneben versuche ich mit jedem neuen Film, auch etwas Neues auszuprobieren. Strukturell ähnlich geblieben ist ein bestimmtes Interesse für die Topographie einer Stadt, also in diesem Fall für Berlin.
Ihr Film hat mich an die Kriminalfilme von Jean-Pierre Melville erinnert, zum Beispiel in Bezug auf die hermetische Geschlossenheit des Milieus, die Austauschbarkeit von Gut und Böse, die Präzision der kriminellen Arbeit und die Einsamkeit des Helden. Ist das eine bewusste Referenz und gibt es noch andere Vorbilder?
Melville ist eine Referenz unter vielen, und ich schätze ihn sehr. Ich habe mich jedoch nicht direkt an ihn angelehnt, da er in seinen Gangsterfilmen mit extremen Überhöhungen arbeitet. Dagegen versuche ich mit meinem Film „Im Schatten“, die Balance zu halten zwischen einer formalen Stilisierung und der Verankerung des Stoffes in der Alltagswirklichkeit.
Andere Referenzen betreffen auf Seiten des Films Don Siegel, in der Kriminalliteratur Bücher von Richard Stark. Er schreibt Erzählungen, in denen es eine minutiöse Innenansicht des Verbrechens gibt und in denen die Arbeitsabläufe als solche eine ganz zentrale Rolle spielen. Also: Wie sieht der Alltag von jemandem aus, der sich im kriminellen Feld bewegt? Bücher, die das beschreiben, finde ich diesbezüglich am faszinierendsten; und hier lag für mich ein Ausgangspunkt.
Ihr Film beeindruckt und gewinnt maßgeblich Spannung durch genaue filmische Beobachtung. Würden Sie diese Qualität als realistisch oder dokumentarisch bezeichnen?
Zwar ist mein Film stark stilisiert, aber in anderer Weise als die überhöhten Filme von Melville. Andererseits ist er aber auch nicht einfach dokumentarisch. Der Blick auf die Stadt ist in seiner Nüchternheit vielmehr eingebettet in das sehr stilisierte Konstrukt, wodurch der Ort aufgeladen wird. Mich hat stark interessiert, die präexistenten Versatzstücke des Genres mit dem Konkreten der Stadt Berlin kurzzuschließen. Es gab einige Szenen, die wir fast dokumentarisch gedreht haben; da finden auch Zufälligkeiten Eingang. Zum Beispiel haben wir die Autoszenen im fließenden Verkehr gedreht.
Es war mir wichtig, die Konkretheit der Stadt und die Stimmigkeit der Topographie, also ein Spektrum der Stadt Berlin, in seiner Heterogenität zu zeigen. Das wurde dadurch möglich, dass die Protagonisten fortwährend in Bewegung sind, sich beschatten; insbesondere die Hauptfigur, die kein Zentrum hat und ständig den Ort wechselt. Das hat mir die Möglichkeit gegeben, relativ viel von der Stadt zu zeigen. Und das ist natürlich wiederum durch die Genre-Elemente aufgeladen.
Wie in Ihren früheren Filmen zeigen Sie auch diesmal, wie durch die Bewegung der Figuren Raum erschlossen wird. Welche Ideen verbinden Sie damit? Geht es auch darum, dem Schein der Illusion das reale Sein entgegenzusetzen?
Entleerte Genre-Muster allein hätten mich nicht gereizt. Es war mir schon wichtig, meine Geschichte im gegenwärtigen Berlin zu verankern und die Orte präsent zu machen. Jede Figur ist bei mir mit dem Raum verbunden, in dem sie – zu welchem Zeitpunkt auch immer – agiert. Diese Relation ist mir grundsätzlich wichtig: der Raum und die Personen als Ensemble. Das schafft mehr Komplexität, als wenn man Personen isoliert von dem, was sie umgibt. Zugleich stellt mich das beim Filmen jeweils vor neue Aufgaben.
Wenn man den Raum ernst nimmt, fließt zwangsläufig etwas Dokumentarisches in den Film ein. So eine Szene hat einen erzählerischen Zweck und ist zugleich ein Dokument, indem sie fotografisch bewahrt, was danach mitunter verschwindet.
Inwieweit wird diese Realitätsdarstellung durch einen langsamen Erzählrhythmus und lange Einstellungen befördert, also eine Ästhetik der Reduktion, die Ihren Filmen eigen ist?
Ich starte keinen Film mit der Prämisse, einen langsamen oder schnellen Film zu machen, sondern ich versuche, ein richtiges Tempo zu finden. Oft sind die Tempi, die man sieht, abgewrackte Aufstülpungen auf irgendetwas. Ich versuche, das Tempo aus dem zu entwickeln, was erzählt werden soll. Es muss einen Grund geben, entweder die Kamera zu wechseln oder zu schneiden. Der Rhythmus sollte sich also aus der Erzählung ergeben und nicht dieser übergestülpt werden.
Warum haben Sie sich diesmal für die digitale Aufnahmetechnik entschieden?
Die Entscheidung für die sogenannte „Red“-Kamera hatte primär finanzielle Gründe. Wir hatten einen sehr kleinen Etat von knapp 500.000 Euro, was für einen Spielfilm sehr wenig ist. Das war der Hauptgrund. Auf dieser Basis haben wir uns mit der Kamera beschäftigt, also mit ihren Möglichkeiten und Grenzen. Ansonsten war es ein ganz klassischer Dreh, der sich kaum vom Drehen mit 16-mm oder 35-mm unterschieden hat.
Was das Bild anbelangt, hat die „Red“ eine wesentlich reduziertere Grün- und Rot-Palette. Das ist in den Wald-Szenen schon kritisch. Die Grünnuancen von herkömmlichem Filmmaterial sind sehr viel höher als diejenigen von den etwas besseren digitalen Kameras. So sehen diese Szenen etwas artifizieller aus; und auch die Schärfe wirkt etwas technischer als bei 35-mm, die organischer ist, weil sie nicht in Schärfenscheiben gestaffelt wird. Man kann mit der „Red“ trotzdem ganz vernünftig drehen.
Würden Sie sagen, dass sich „Im Schatten“ im Genre erschöpft, oder geht er darüber hinaus? Etwa in der Charakterisierung des Helden als eine Art moderner Sisyphos, der zwar überlebt, aber nichts gewinnt, sondern alles wieder verliert.
Auch wenn ich beim Schreiben nicht daran gedacht habe, kann man das ruhig so sehen. Allerdings geht es mir nicht um eine moralische Beurteilung des Verbrechens, sondern um seine Darstellung als eine Existenzform. Im Gegensatz zu Jacques Mesrine, der von Kick zu Kick eilt, betrachtet mein Protagonist Trojan sein Metier als Handwerk, das er nüchtern und professionell ausführt.
Ich wollte meinen Helden am Ende auch nicht sterben lassen, was ich als zu klassisch empfunden hätte. Zugleich sollte er aber auch nicht triumphierend mit dem Geld davonkommen. Das hätte eine unnötige Bedeutung geschaffen, woran ich nicht interessiert bin. Mir ging es darum, zu zeigen, dass diese Existenzform an einen Punkt kommt, wo sie wieder neu beginnen muss und weitergeht, zugleich aber auch wieder in Frage gestellt wird. Ich habe eher versucht, ungewünschte Bedeutungen zu eliminieren. So war es möglich, ihn lebend aus dem Film zu entlassen; und das ist gleichzeitig ein Punkt, wo es wieder von vorne losgehen muss.
Könnte man in Ihrem Helden auch ein Selbstporträt des Künstlers als Filmemacher sehen?
Das kann man natürlich auch darin sehen, obwohl es vermessen wäre, die Filmarbeit als gefährlich zu beschreiben. Wenn man es aber metaphorisch betrachten möchte, so geht es um jemanden, der arbeitet, der Geldprobleme hat und ein Projekt auf die Beine stellen muss, dessen Ausgang ungewiss ist.
Fühlen Sie sich der sogenannten „Berliner Schule“ zugehörig? Können Sie mit diesem Begriff für sich etwas anfangen?
Es ist natürlich ein mittlerweile sehr abgenutztes Label, das sich keiner von uns ausgedacht hat und natürlich haben solche Begriffe eine ziemlich kurze Halbwertszeit. Wenn man über Jahre mit so einem Begriff hantiert, höhlt sich der immer mehr aus, so dass er jeden Inhalt verliert. Nach Jahren des Gebrauchs ist er nicht mehr nützlich und insofern könnte ich gut darauf verzichten.
Welches Verhältnis haben Sie als Filmemacher deutsch-türkischer Herkunft zum aktuellen türkischen Autorenfilm? In Ihrem Dokumentarfilm „Aus der Ferne“ besuchen Sie etwa den Regisseur Nuri Bilge Ceylan.
Ich habe kein spezielles Verhältnis dazu, freue mich aber natürlich über gute Filme im Kino; und da gehören die von Ceylan dazu, der ein außergewöhnlicher Filmemacher ist, dessen Arbeit ich verfolge. Ich habe mich für „Aus der Ferne“ mit ihm getroffen, als er seinen Film „Jahreszeiten“ geschnitten hat. Insofern gibt es ein Interesse verbunden mit Sympathie an seiner Arbeit. Aus meiner Sicht hat das aber weniger mit dem Türkischen zu tun, sondern ich sehe das eher auf einer kinematographischen Ebene.