Ernest Cole: Lost and found

(FR/USA 2024; Regie: Raoul Peck)

Chronist der Apartheid

Unter dem titel „House of bondage“ erscheint 1967 in den USA ein Fotobuch, das die Schrecken der Apartheid in Südafrika zeigt. Der 1940 in einer Township von Pretoria geborene Fotograf Ernest Levi Cole dokumentiert darin mit Empathie und genauem Blick „das krankhafte System der Trennung“ und die damit verbundenen unterschiedlichen Realitäten zwischen schwarzer und weißer Bevölkerung. „Ich sammle Beweise“, sagt Cole über seinen Versuch, „einen Sinn zu finden, wo es keinen gibt.“ Beeinflusst vom französischen Fotografen Henri Cartier-Bresson, geht es dem aufstrebenden Fotokünstler um eine größtmögliche Nähe zur Realität. Er zeigt ein „Land der Schilder“, die das diskriminierende Verhalten vorschreiben, und einen widersprüchlichen Alltag, in dem die Unterworfenen dienen müssen und die Herrschenden ein rigides Regime der Kontrolle und Strafe errichtet haben. Ernest Cole dokumentiert außerdem die Zerstörung von Wohnraum, die harte Arbeit in den Minen sowie das monotone Leben im Verbannungslager Frenchdale, wo ehemalige Stammesführer vor sich hin vegetieren.

Als der junge Fotograf mit seinen „riskanten Bildern“ 1966 den miserablen Lebensbedingungen ins New Yorker Exil entflieht, gilt er bald als „Chronist von Elend, Ungerechtigkeit und Herzlosigkeit“. Während sein Buch „House of bondage“ in seinem Heimatland verboten wird, arbeitet er in den Vereinigten Staaten zunächst mit einem Stipendium weiter. Er fotografiert Passanten, Obdachlose, gemischte Paare, Homosexuelle und Süchtige. Im Blick auf das tägliche Leben will er „das Wesentliche“ finden. Auf Reisen in den ländlichen Süden dokumentiert er ein Leben, das sich von den Zuständen in Südafrika kaum zu unterscheiden scheint. Auch in der sogenannten freien Welt gilt Gleichberechtigung nicht für alle Bevölkerungsgruppen. Bezeichnenderweise stoßen diese Fotos auf wenig Resonanz und Interesse. Sie verschwinden sogar und tauchen auf rätselhafte Weise erst fünfzig Jahre später im Safe einer Stockholmer Bank wieder auf. 60.000 Negative umfasst der Nachlass von Ernest Cole, der verbittert und mittellos 1990 im Exil stirbt.

Mit seinem beeindruckend gestalteten Film „Ernest Cole: Lost and found“ inszeniert der renommierte Filmemacher Raoul Peck für den weitgehend vergessenen Fotokünstler eine Hommage, aus der eine tiefe Verbundenheit spricht. Zugleich gibt Peck dem Porträtierten seine Geschichte zurück, indem er seinen Film fast ausschließlich aus Fotografien von Cole montiert hat. Dazu spricht der Schauspieler LaKeith Stanfield aus dem Off höchst einfühlsam einen Text, der teilweise von Cole, teilweise von Peck stammt, wofür der Filmemacher auf Berichte von Familienmitgliedern und Freunden zurückgreifen konnte. Interviewszenen mit Cole selbst (aus einem Film von Rune Hassner) sowie Filmdokumente über einschneidende politische Ereignisse in Südafrika ergänzen an wenigen Stellen die tragische Geschichte eines Künstlers, der sein unfreiwilliges Exil als „langsamen Zerfall und Abstieg in die Hölle“ bezeichnet. Das nicht heilbare, „nagende Gefühl der Wurzellosigkeit“ lässt ihn schließlich sogar am Sinn der Fotografie zweifeln: „Es ist eine Lüge, Dinge in einen Rahmen zu stecken. Alle Fotos sind Lügen.“ Als Nelson Mandela 1990 nach vielen Jahren aus dem Gefängnis entlassen wird, kommt dieser Aufbruch für Ernest Cole zu spät. Raoul Pecks kritischer Film handelt in vielen Passagen schließlich auch davon, wie Gegenwart und Vergangenheit aufeinander bezogen sind.

Ernest Cole: Lost and found
Frankreich/USA 2024 - 105 min.
Regie: Raoul Peck - Drehbuch: Ernest Cole, Raoul Peck - Produktion: Raoul Peck, Tamara Rosenberg - Bildgestaltung: Wolfgang Held, Moses Tau, Raoul Peck - Montage: Alexandra Strauss - Musik: Alexei Aigui - Verleih: Salzgeber - Besetzung: .
Kinostart (D): 17.04.2025

IMDB-Link: https://www.imdb.com/de/title/tt27760132/
Foto: © Salzgeber