Eine falsche SMS: Als sich der Kameruner Jean-Claude Roger Mbede mit einem Freund verabreden will, wartet die Polizei auf ihn. Er wird festgenommen, ausgezogen, übel zusammengeschlagen. Und am Ende zu drei Jahren Haft verurteilt.
Freunde finden die Leiche von Eric Ohena Lembembe in dessen Wohnung in Kameruns Hauptstadt Yaoundé. Die Spuren lassen auf ein hohes Maß an Gewalt schließen: Augen und Zunge sind herausgerissen, die Beine gebrochen. Die Feuerwehr bringt den Leichnam fort – auf eine Müllkippe. Lembembes Mitstreiter fordern eine Autopsie, die nicht gewährt wird.
Mbede und Lembembe hatten eines gemeinsam: ihre Homosexualität. Die SMS Mbedes lautete „Ich liebe dich“ und ging an einen Mann. Lembembe war Aktivist, er setzte sich für die Rechte queerer Menschen ein.
Die beiden Vorfälle liegen bereits einige Jahre zurück. Aber dem Filmemacher Appolain Siewe, der aus Kamerun stammt und als Student nach Deutschland kam, ließen sie keine Ruhe. Siewe kontaktierte Verwandte, um an Informationen zu kommen, und sprach mit Freunden Lembembes. Dann begann er mit den Dreharbeiten zu seinem Dokumentarfilm „Code der Angst“, den er im vergangenen Jahr fertigstellen konnte.
Siewe wollte herausfinden, warum solche Taten geschehen können. Warum Mbede für eine private Aussage inhaftiert wurde. Warum sich Politik, Justiz und Medien in Kamerun „auf einem Kreuzzug gegen sexuelle Minderheiten befinden“, wie Amnesty International es formuliert. Denn der Vorwurf, homosexuell zu sein, wird auch gezielt eingesetzt, um politischen Gegner*innen zu schaden. Und Täter wie die Mörder Lembembes können davon ausgehen, ohne Strafe davonzukommen.
Homosexualität ist in Kamerun wie in fast allen afrikanischen Ländern immer noch ein absolutes, oft auch strafbewehrtes Tabu. Sie wird oft bereits in der Familie sanktioniert, wo das „Problem“ nicht selten gewaltsam gelöst wird. Auch Mbede wurde nach der Verurteilung von seinen Angehörigen verstoßen – man habe lieber „den Dorftrottel als Sohn“, so der Vater.
In anderen afrikanischen Staaten bewegt sich aber auch etwas: In Botswana hat der Oberste Gerichtshof im Jahr 2019 gleichgeschlechtliche Beziehungen legalisiert. Zuvor drohten dort bis zu sieben Jahre Haft aufgrund eines Gesetzes, das noch aus der britischen Kolonialherrschaft stammte.
„Ich lerne beim Filmemachen, deswegen drehe ich“, sagte Siewe dem Amnesty Journal. Auf seiner Reise mit der Kamera traf er Menschenrechtsanwält*innen und Kulturwissenschaftler*innen, die im Film erklären, welche gesellschaftlichen Risiken und juristischen Möglichkeiten es für Homosexuelle in Kamerun gibt. Und auch, wie sich Aktivist*innen trotz aller Widerstände politisch engagieren.
Siewe befragte etwa Basile Ndjio. Man dürfe sich als Mann keine Schwäche erlauben, als solche würde Homosexualität aber gesehen, sagt der Professor für Anthropologie an der Universität Douala. Er schlägt einen historischen Bogen zurück in die Zeit, als Kamerun eine Kolonie mit wechselweise deutschen, französischen und englischen Herrschern war. Der Hass auf gleichgeschlechtliche Lebensweisen habe seinen Ursprung bei den Missionaren der christlichen Kirchen.
Vor der Kolonialherrschaft habe es in den Clangesellschaften des Landes sehr wohl polyamore und gleichgeschlechtliche Praktiken gegeben, erklärt auch der Soziologe Claude Abé im Interview mit Siewe. Dann seien die europäischen Missionare gekommen. Trotz stramm heterosexueller Ideologie hätten sie Jungen missbraucht, sodass Homosexualität einerseits offiziell verdammt, andererseits im Geheimen aufgezwungen worden sei. Die Kolonialisten hätten dort ausgelebt, was zu Hause in Deutschland bestraft worden wäre. So sei das Bild entstanden, Homosexualität gehöre zur Kultur europäischer weißer Invasoren. Zudem würde man sie mit einem zwangsläufigen Geburtenrückgang assoziieren, der letzten Endes zu einer Auflösung der Gesellschaft führe.
Siewe besuchte auch die Menschenrechtsanwältin Alice Nkom. In ihrem Büro hängt das Plakat von Amnesty International – im Jahr 2013 erhielt sie den Menschenrechtspreis der deutschen Sektion. Mit ihr sprach der Regisseur über die rechtliche Situation. Wie können Jurist*innen das Leben von Aktivist*innen schützen und sie vor Strafverfolgung bewahren? Nkom nennt aktuelle Fälle von Menschen, die in der bis zu fünf Jahre dauernden Haft aufgrund von Folter sterben. Sie ist sich sicher, dass die gesetzliche Situation in Kamerun nicht mit den Menschenrechten vereinbar ist. Die Lage der LGBTI-Community in ihrem Land sei von „Apartheid“ gekennzeichnet, so die Anwältin.
Auch seine eigene Geschichte und Erziehung bezieht der Regisseur, wiewohl selbst nicht homosexuell, schließlich in die filmische Erzählung ein. Als er 1997 zum Studium nach Berlin kam, habe er queeres Leben zumindest im Bezirk Schöneberg, in dem er damals lebte, als etwas Normales empfunden. Mit seinen Eltern konnte er nicht einmal während der Dreharbeiten über das Thema sprechen. Sein Vater habe gar den Kontakt abgebrochen, als er von dem Filmprojekt erfuhr. Er wolle damit nichts zu tun haben, habe er mitgeteilt, Homosexuelle seien „schlimmer als Tiere“.
Siewe gelingt in seinem 84 Minuten langen Film ein gesellschaftskritisches Kaleidoskop. Mit sehr guten Schnitten komponiert er aus den Interviews mit den Wissenschaftler*innen und Gewaltbetroffenen, mit Aktivist*innen und Anwält*innen, mit biografischen Einlassungen und unter Verwendung von Originalmaterial aus TV-Shows in Kamerun einen dichten Dokumentarfilm, der für die Zuschauer*innen gut nachvollziehbar ist.
„Code der Angst“ lief international bereits auf Festivals, in Deutschland hingegen bisher nur sporadisch in einigen Kinos oder auf Einladung lokaler Amnesty-Gruppen wie der in Frankfurt/Main, die den Film im Deutschen Filminstitut zeigte. Bisher hat sich noch kein Verleih gefunden, um Siewes Werk in Deutschland in die Kinos zu bringen. Dabei wäre ein offizieller Starttermin für den Film mehr als wünschenswert. Er ist engagiertes Kino, aufklärerische Dokumentation und akribische Erzählung. Und in jeder Hinsicht sehenswert.
Diese Kritik erschien zuerst in: Amnesty Journal