Mitten im See liegt eine kleine Insel, auf der Kormorane nisten. Dann fällt der Blick auf ein altes, stattliches Haus im Grünen, von einer warmen Sommersonne beschienen. Das Spiel von Licht und Schatten, eingehegt von einer freundlichen Natur, erzeugt unwillkürlich die Anmutung einer friedlichen Idylle. Doch der Schein trügt. Im Innern des Hauses herrscht der blanke Familienhorror, was jedoch in seinem Ausmaß erst nach und nach deutlich wird. Karen (Maren Eggert), die Mutter von drei Kindern, wirkt depressiv, in sich versunken und genervt; zugleich zeigt sie sich auf unangenehm konfrontative Art kontrollierend, bestimmend und aggressiv. Ihrem pubertierenden, für sein Alter ungewöhnlich selbständigen Sohn Leon (Ilja Bultmann) überträgt sie das Kochen für das bevorstehende Familienfest; mit ihrer aufmüpfigen, ziemlich desillusionierten Teenager-Tochter Johanna (Lea Zoe Voss) liegt sie im Dauerclinch; während die älteste Tochter Christina (Paula Schindler) das Haus bereits verlassen hat, um sich vor ihrer Mutter zu schützen. Immer wieder drangsaliert Karen – wie nebenbei und ohne laut zu werden – ihre Kinder. Diese bezeichnen ihre Mutter wahlweise als „gestört“ und ätzend“. „Sie kann einfach nicht leben“, sagen sie bei anderer Gelegenheit.
Tatsächlich sitzt Karens Schmerz über seelische Verletzungen tief und ist eng verknüpft mit Erinnerungen an ihre tyrannischen Eltern und mit dem zwiespältigen Erbe eines Hauses, von dem sie sich nicht lösen kann. Ramon Zürcher übersetzt in seinem kunstvollen Film „Der Spatz im Kamin“, dem letzten Teil seiner zusammen mit seinem Zwillingsbruder Silvan realisierten „Tier-Trilogie“, diese Enge und Begrenzung in ein kammerspielartiges, raum-zeitliches Kontinuum. Außerdem versammelt er sein Figurenensemble immer wieder auf engem Raum in statischen, dicht „bevölkerten“ Bildern. Die Dynamik, sorgsam choreographiert, spielt sich mehr in den Bewegungen außerhalb des Bildrahmens ab. Im Innern der Szenen, wo scheinbar beiläufige, trockene Dialoge ausgetauscht werden, die zugleich hart und brutal sind, herrscht kalte, versteinerte Erstarrung. Dabei gibt es immer heimliche Beobachter und Zuhörer, die den Schmerz und das Wissen weitertragen. Ein szenisch überlappender Ton überspielt die Ellipsen, während die distanzierten Blicke nach innen gerichtet sind. Im Verbund mit Montagesequenzen aus zeichenhaften Gegenständen und diversen Symbol-Erzählungen erschafft der Schweizer Regisseur eine abstrakte Atmosphäre jenseits von Identifikationsangeboten.
Zum Familienfest trifft schließlich Karens lebenslustige Schwester Jule (Britta Hammelstein) mit ihrem Mann und zwei Kindern ein. In die allgemeine Sprachlosigkeit und Entfremdung, die im Übrigen auch die Beziehung zwischen Karen und ihrem untreuen Ehemann Markus (Andreas Döhler) bestimmt – seine Geliebte Liv (Luise Heyer) wohnt in nächster Nähe in einem Waldhaus -, mischt sich so die verbindende Geschichte einer traumatischen Vergangenheit. Diese hat bei Karen zu einem Ich-Verlust und zu einem Hass geführt, der sich immer häufiger in Selbstverletzungen und schmerzlichem Sadismus ausdrückt; dieser setzt sich wiederum auch in ihren Kindern fort. Die Dysfunktionalität der beschädigten Seelen wird offensichtlich über die Generationen weitergegeben. Nicht das Ich sei falsch, sondern die Welt, heißt es einmal sinngemäß. Trotzdem überlässt Ramon Zürcher seine Figuren nicht der Hoffnungslosigkeit. In seinem artifiziellen Familiendrama, dessen subtiler Horror an wenigen Stellen in surreale Drastik umschlägt, kommt es schließlich zu fast märchenhaften Aufbrüchen und Verwandlungsprozessen, deren reinigende Kraft den Keim einer Befreiung und damit eines Neuanfangs in sich trägt.