Samia

(IT/DE/BE 2024; Regie: Yasemin Şamdereli)

Sie lief allen Widerständen davon

Samia läuft schneller als ihre Mitschüler. Wenn die Neunjährige ­antritt, kommt der Rest nicht mit. Ungewöhnlich für ein Mädchen, findet man in der Schule. Ihr Vater erkennt das Talent und unterstützt sie. Er ermuntert sie, den jährlichen Stadtlauf mitzumachen – und verspricht ihr für einen guten Platz ein paar neue Laufschuhe. Ihre Mutter sieht das etwas anders: Sport schickt sich nicht für Mädchen und ist außerdem zu gefährlich. Denn Samia wohnt mit ihrer Familie in Mogadischu, der Hauptstadt des von einem jahrzehntelangen Bürgerkrieg gezeichneten Landes Somalia. Ende der 1990er Jahre herrschen in der Stadt Milizen, denn seit dem Sturz des Präsidenten Siad Barre gibt es keine zentrale Regierung mehr. Die Gefahr ist groß, beim Training Bewaffneten in die Arme zu laufen. Und in der Tat wird sie bald von Milizionären bedroht, die so alt sind wie sie.

Doch was macht Samia? Sie übt nachts und deklassiert am Tag des Laufs das Teilnehmerfeld. Ihr Ziel ist nun klar: Sie will die schnellste Läuferin ihres Landes werden. Und das gelingt ihr: Als junge Frau nimmt sie 2008 an den Olympischen Spielen in Peking teil – als einzige Sportlerin aus Somalia. Trotz einer persönlichen Bestzeit von 32,16 Sekunden im 200-Meter-Lauf scheidet sie in der Vorrunde aus.

Die Geschichte des Mädchens, das so schnell gegen alle Regeln lief, faszinierte die Regisseurin Yasemin Şamdereli, die mit ihrem Film „Almanya – Willkommen in Deutschland“ (D 2011) bekannt wurde. „Samia“ sei seit acht Jahren ihr Herzensprojekt gewesen, sagt sie. Der Film basiert auf dem Roman „Sag nicht, dass du Angst hast“ von Guiseppe Catozzella. In Gesprächen mit Samias Schwester Hodan rekonstruierte er das Leben der ungewöhnlichen Sportlerin, die sich von Verboten und Repressalien bis hin zu Morddrohungen nicht davon abhalten ließ, ihre Bahnen zu laufen.

Doch das Leben meinte es nicht gut mit Samia. Als sie feststellen musste, dass es in ihrer Umgebung unmöglich war, weiter an ihren Leistungen zu arbeiten, zog sie 2010 in die äthiopische Hauptstadt Addis Abeba. Um 2012 an den Olympischen Spielen in London teilnehmen zu können, versuchte sie, über den Sudan und Libyen nach Europa zu gelangen. Sie ertrank im April 2012 gemeinsam mit anderen Flüchtlingen auf dem Mittelmeer bei der Überfahrt mit einem Schlauchboot.

Şamdereli erinnert mit einem sehenswerten Film an die außergewöhnliche Läuferin. Mit Ilham Mohamed Osman hat sie eine perfekte Darstellerin für Samia gefunden. In einer Nebenrolle ist die somalische Menschenrechtlerin und „Wüstenblume“-Autorin Waris Dirie zu sehen.

Dieser Text erschien zuerst in: Amnesty Journal

Samia
Italien/Deutschland/Belgien 2024 - 102 min.
Regie: Yasemin Şamdereli - Drehbuch: Yasemin Şamdereli, Nesrin Şamdereli, Giuseppe Catozzella - Produktion: Simone Catania, Christoph Fisser, Michele Fornaero, Dietmar Güntsche, David Herdies, Iman Ismail - Bildgestaltung: Florian Berutti - Montage: Mechthild Barth, Sebastian Bonde - Musik: Rodrigo D'Erasmo - Verleih: Weltkino - Besetzung: Ilham Mohamed Osman, Waris Dirie, Fatah Ghedi, Fathia Mohamed Absie, Riyan Roble, Zakaria Mohammed
Kinostart (D): 19.09.2024

IMDB-Link: https://www.imdb.com/title/tt30959154/
Foto: © Weltkino