Am Esstisch der Familie Wang wird heftig gestritten. Drei Generationen befinden sich in dem von Frauen dominierten amerikanisch-taiwanesischen Haushalt im Dauerclinch, wobei die Älteren Mandarin, die Jüngeren Englisch sprechen. Vor allem Nesthäkchen Chris (Izaak Wang), von den anderen liebevoll „Dìdi“ genannt, was „kleiner Bruder“ oder „Söhnchen“ bedeutet, zofft sich fortwährend mit seiner älteren Schwester Vivian (Shirley Chen). Während sich diese im Sommer des Jahres 2008 aufs College und damit auf den Auszug aus dem Elternhaus im kalifornischen Fremont vorbereitet, steht dem 13-Jährigen der Wechsel auf die High School bevor. Tief in den Wirren der Pubertät mit ihren unsteten, oft aufbrausenden Gefühlen gefangen, verbringt Chris seine Zeit hauptsächlich mit seinen angeberischen Kumpels. Diese wiederum nennen den eher schüchternen und zurückhaltenden Außenseiter in Anspielung auf seine asiatische Herkunft „Wang-Wang“. Chris fühlt sich deshalb oft ausgeschlossen und hat einen doppelt schweren Stand. Schüchtern interessiert er sich für die hübsche, gleichaltrige Madi (Mahaela Park), die ihm eine zweifelhaftes Kompliment macht, wenn sie sagt: „Du bist ziemlich süß für einen Asiaten.“
In seinem autobiographisch gefärbten Debütfilm „Dìdi“ widmet sich Sean Wang mit seinem Titelhelden einer mehrfachen Fremdheitserfahrung und den vielen Unsicherheiten in der Phase eines Übergangs. Chris sucht Freunde, wünscht sich Zuneigung und Anerkennung, erlebt aber immer wieder Zurückweisung. Vom hohen Anpassungsdruck überfordert, reagiert er gereizt und aggressiv, was nicht nur seine Freunde, sondern auch seine Familienmitglieder zu spüren bekommen. Neben seiner Schwester trifft Chris‘ ungefilterte Wut vor allem auf seine Mutter (Joan Chen), die sich erfolglos als Künstlerin versucht und die einen schweren Stand gegenüber der Großmutter (gespielt von Chang Li Hua, der Großmutter des Regisseurs) hat. Da ihr Mann in Taiwan arbeitet, ist sie gezwungen, sich allein um das so schwer zu bewerkstelligende Wohlergehen der Familie zu kümmern.
Zwar steckt der temperamentvolle Coming-of-Age-Film, der zu einem guten Teil zeittypische elektronische Kommunikationsformen integriert, voller Konflikte, er findet im hochfrequenten Chaos der Gefühle aber auch zu versöhnlichen Momenten. Mit ironischem Witz und sanfter Melancholie begleitet Sean Wang seinen jugendlichen Helden ebenso realistisch wie phantasievoll in einem Prozess des Wachsens, der nur einen weiteren Schritt markiert und nichts Abschließendes beansprucht. Die symbolisch verstehbare Entfernung von Chris‘ Zahnspange zielt gerade auf dieses Vorübergehende. Und auch die nächtlichen Bilder, in denen die einsamen Enttäuschungen des Helden vermittelt werden und die nachdenkliche Ruhepole setzen, haben in diesem Sinne nicht das letzte Wort. Sie sind vielmehr Zwischenstationen und Übergänge zu neuen Aufbrüchen.