Seit seinen Anfängen in der retrospektiv so bezeichneten Greek Weird Wave gestaltet Yorgos Lanthimos Parabeln über Macht und Unterwerfung, Dominanz und Abhängigkeit. Um sich in ihren prinzipiell sadomasochistischen Beziehungen ihre Liebe zu verdienen, gar Erlösung zu finden, müssen sich die Figuren bis zur Selbstaufgabe erniedrigen und verletzen. Die totale Hörigkeit innerhalb eines Herrschaftsregimes schließt dabei auch den Verzicht auf persönliche Freiheit ein. Dafür seziert der griechische Regisseur menschliche Verhaltensweisen und psychische Zustände, indem er mit Ironie und unverhohlener Lust an Grausamkeiten Beziehungsmuster offenlegt. Dabei berührt er nicht nur Tabus, sondern er blickt mit gezielt gesetzten Schockmomenten auf verstörende Weise in menschliche Abgründe. Dicht verfugt und sehr kalkuliert aufs Wesentliche reduziert, ähneln Lanthimos‘ unterkühlte, auf den ersten Blick rätselhafte Versuchsanordnungen mit ihren absurden Dialogen selbst einer Art filmischem Regime, das die Rezeption nicht nur lenkt und gängelt, sondern auch manipuliert und einem gewissen Zwang aussetzt. Informationen werden in portionierten Dosen verabreicht, Zusammenhänge werden erst nach und nach deutlich und die so erzeugte Spannung sorgt für maximales Unbehagen.
In seinem neuen Film „Kinds of Kindness“ verbindet Yorgos Lanthimos drei Episoden, die sich eher lose Themen, Motive und die Darsteller/innen Emma Stone, Jesse Plemons, Willem Dafoe und Margaret Qualley teilen und in ihren Überschriften um das mysteriöse Namenskürzel „R. M. F.“ kreisen. Zwischen Distanz und extremer Nähe inszeniert er dabei eine Dialektik der Perspektiven, die auf scheinbare Offenheit und Übersichtlichkeit immer eine unangenehme Intimität folgen lässt. Herrschaftliche, kalte Anwesen und Bürokomplexe der Macht wechseln sich dabei ab mit Kliniken und einem Leichenschauhaus. Die Untersicht auf Größe macht den subjektiven Blick des Individuums umso kleiner und geringer.
Robert aus der ersten, „Der Tod von R. M. F.“ betitelten Geschichte ist ein solcher Abhängiger. Längst entscheidet sein Chef Raymond mit detaillierten Plänen über Roberts Leben. Essen, Sex und selbst die Lektüre werden vorgegeben, kontrolliert und überwacht. Im Gegenzug erhält der Hörige bizarre Geschenke, vor allem aber Liebe. Diese wird ihm allerdings entzogen, als er einen Fehler macht beziehungsweise sich weigert, einen ethisch höchst fragwürdigen Auftrag auszuführen. Weil der so gedemütigte, degradierte und ausgestoßene Sklave die darauffolgende soziale Isolation nicht aushält, ist er schließlich bereit, durch Reue und Erniedrigung die Liebe seines Gebieters wiederzugewinnen.
Auch in den beiden anderen Episoden stehen Selbstopferung und Liebesbedürftigkeit, Ausschluss und die Sehnsucht nach Integration in einer direkten Beziehung. So trauert der Polizist Daniel in „R. M. F. fliegt“ um seine verunglückte Frau Liz und verfällt dabei in einen zunehmenden Wahn. Als die vermeintlich Tote schließlich leicht verändert zurückkehrt, fühlt sich Daniel betrogen und fordert in seinem Streben nach dem verlorenen Ideal extreme Liebesbeweise. Auch im dritten Teil „R. M. F. isst“, der von den Erlösungsphantasien einer merkwürdigen, rigide geführten Reinheitssekte handelt, geht es um den Versuch, Ungehorsam und Ausschluss aus der Gemeinschaft zu überwinden, um so eine neue alte Ordnung herzustellen. Dafür findet die indoktrinierte Heldin sogar ein opferungswilliges Medium, das schließlich einen Toten, nämlich besage Nebenfigur R. M. F., zum Leben erweckt.