Fein säuberlich und ordentlich aufgereiht, stehen und thronen in Reih und Glied allerlei Militär-Devotionalien und patriotischer Kitsch auf den Regalen und Sideboards des geräumigen Wohnzimmers. François (André Dussollier), ein robuster französischer Offizier im Ruhestand, hat die Sammlung gewissenhaft zusammengetragen. Zu Beginn von Ivan Calbéracs Komödie „Liebesbriefe aus Nizza“ („N’avoue jamais“) feiert er im Garten seines idyllischen Anwesens den Geburtstag seiner Frau Annie (Sabine Azéma). Zur Melodie der Marseillaise singt die Familie als Geburtstagsständchen Selbstgedichtetes von François. Darin ist, militärsprachlich formuliert, vom Schutz der ehelichen Verbindung die Rede. François ist eben durch und durch ein disziplinierter, ordnungsliebender Soldat, für den Loyalität zum Vaterland, der Zusammenhalt in der Familie und eheliche Treue alles bedeuten.
In der auf markanten Kontrasten fußenden Anlage des Films, der mit präzisem Dialogwitz und teils slapstickhafter Situationskomik kurzweilig unterhält, bekommt dieses rigide Lebenskonzept jedoch bald Risse. Nach Abreise der Gäste stößt François beim Aufräumen des Dachbodens auf eine Schachtel mit Liebesbriefen, die mittlerweile vierzig Jahre alt sind. Ein gewisser Boris hat das schwärmerisch-frivole Bettgeflüster von der „weißglühenden Brust“ und dem „explodierenden Venusdreieck“ einst an die damals schon verheiratete 29-jährige Annie gerichtet. Zur Rede gestellt, nimmt die Ehebrecherin Verjährung für sich in Anspruch, während der Gehörnte tief getroffen und verletzt reagiert. Annie habe „das Ehebett besudelt“ und „die heilige Ehe“ verraten, was an der „Madame Bovary“-Leserin allerdings zunächst abprallt. Doch dann droht François mit Scheidung. Außerdem will der prinzipientreue Krieger verspätet Rache nehmen und dem einstigen Kontrahenten „die Fresse polieren“. Schließlich sei „ein verletzter Löwe immer grausam.“
Und so schaltet der Betrogene in den „Kommandomodus“ und fährt mit seiner untreuen Frau nach Nizza, um vor der malerischen Mittelmeerkulisse Boris (Thierry Lhermitte) aufzuspüren. Dass der Anhänger der Polyamorie Junggeselle geblieben ist, eine musische Ader hat und als Karatelehrer außerdem in körperlich ziemlich guter Form ist, setzt nicht nur weitere Kontraste, sondern verkompliziert auch François‘ Rachepläne. Schließlich hat auch er eine geheime, bislang verschwiegene Vergangenheit, die im Verbund mit anderen Familiengeheimnissen allmählich ans Licht kommt.
Ivan Calbérac spiegelt die daraus resultierenden Konflikte der Figuren um Eifersucht und Treue, Identität und sexuelle Orientierung wechselseitig aneinander. Er spricht leichthändig über schmerzliche Lebensschicksale, autoritäre Prägungen, aber auch über die Familie als Hort von Sicherheit und Stabilität. Schließlich fragt der französische Regisseur, der auch als Autor arbeitet, ob die Zeit wirklich Wunden heilen kann. Die der Komödie geschuldete Schlusspointe setzt diesbezüglich zwar einen erfrischend augenzwinkernden Akzent, schwächt aber zugleich die ernsten Themen des Films, indem sie die Nöte des Protagonisten (ein zweites Mal) verrät.