Palliativpflege – wie geht die eigentlich? Den Anlass, der Eva Trobisch zu dem Thema brachte, beschreibt die Regisseurin so: Sie habe eine Anfrage für die Skriptentwicklung einer „Polizeiruf“-Folge gehabt, dabei sei sie auf die Geschichte einer Krankenschwester der Berliner Charité gestoßen, die schwerkranke Menschen durch die Überdosierung von Medikamenten getötet hatte – weil sie habe helfen wollen.
Was muss da vorgegangen sein? Über die Recherche habe sie gemerkt, dass sie die Pflege Schwerkranker für das Kino in Szene setzen wollte, sagt Trobisch. „Wobei mir schnell klarwurde, dass ich daraus keinen Krimistoff machen wollte. Denn die Arbeitswelt der Palliativmedizin, die mir völlig neu war, faszinierte mich – der Ton, die Direktheit, der respektvolle Umgang, diese Form der Selbstverständlichkeit und Inklusion von Leben und Sterben.“
„Ivo“ heißt nun der fertige Film. Im Zentrum steht – oder besser: fährt – die gleichnamige ambulante Pflegerin. Denn Ivo verbringt viel Zeit in ihrem in die Jahre gekommenen Auto, mit dem sie die vielen Haushalte täglich ansteuert. Ihre verwirrten und versehrten Klienten, denen sie bei der Hygiene hilft und die zugeteilten Medikamente verabreicht. Sie legt Kanülen, wechselt Verbände und Windeln, steht den Angehörigen mit Rat zur Seite. Und vor allem: hat jeden Tag den Tod vor Augen. Ob Menschen in kleinsten Räumen oder großzügigsten Villen – ihre Gebrechen machen sie vor der Pflegerin gleich.
Aber auch Ivos eigenes Leben wird genau ausgeleuchtet: Wie lebt sie mit ihrer pubertierenden Tochter zusammen, welche Musik hört sie? Mit Franz, dem Mann ihrer Freundin, der todkranken Solveigh, unterhält sie gar ein Liebesverhältnis. Geht das gut? Rührend kümmern sich beide um die kranke Frau. Und als Solveigh immer schwächer wird, kommt das Thema Sterbehilfe auf, sie möchte nicht länger leiden. Eine Angelegenheit, mit der Menschen im Pflegedienst oft konfrontiert sein dürften.
Mit Minna Wündrich hat Trobisch eine tolle Schauspielerin gefunden, die ihre Ivo mit kongenialer Ambivalenz und Offenheit in der Darstellung motiviert. Der Film erlaubt einen Einblick in eine komplizierte Wirklichkeit, in der alltägliche Handlungen zu Katastrophen führen können.
Wie viele andere täglich begleitet Ivo das Leben von Menschen an dessen Ende. Wer im deutschen Kino nach Stoffen aus der Arbeitswelt sucht, hier ist einer. „Man sieht vielmehr den Dingen dabei zu, wie sie nach und nach aus dem Lot geraten – ein treffliches Gleichnis auf die Zustände in der Pflege insgesamt“, schreibt das Gewerkschaftsmagazin „ver.di Publik“.
Hier findet sich ein Interview mit Regisseurin Eva Trobisch.
Diese Kritik erschien zuerst am 02.07.2024 auf: links-bewegt.de